Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
euch so schnell wie möglich aus dem Staub.«
Als ob das nicht schon genug wäre, kam es jetzt noch dicker.
»Im zweiten Fall ist das genau die falsche Reaktion«, sprach Angela weiter.
»Wenn du merkst, dass die normalen Rückzugsmethoden nichts nützen und der Bär dir immer weiter folgt, betrachtet er dich offensichtlich als Futter. Dann nützt es dir auch nichts, dich tot zu stellen. Dann musst du dich mit allem, was du hast, gegen den Angreifer wehren.«
Na toll. Und wie unterschied ich jetzt den einen vom anderen Angriff?
»Ein Bär, der dich als Futter betrachtet, wird dir lange Zeit folgen. Er verhält sich wie ein Stalker. Selbst wenn du keine ›Bedrohung‹ mehr für ihn bist, geht er nicht fort.«
Zur Demonstration durften wir Bilder von Bärenopfern sehen. Einige Teilnehmer überlegten, ob sie die Tour vielleicht doch noch absagen sollten. Aber Angela kannte sich aus mit Psychotricks. Nach der Peitsche kam jetzt wieder das Zuckerbrot. Sie beruhigte uns.
»Zum Glück hat die Industrie als Abschreckmittel ein tolles Bärenspray erfunden.«
Dan hielt eine etwa zwanzig Zentimeter große Sprühdose hoch.
»Dieses Spray kann euer Lebensretter sein. Es enthält eine große Konzentration Cayennepfeffer und Tränengas. Aber ihr müsst den Bären sehr nah an euch rankommen lassen.«
|119| »Neunzig Prozent aller Bärenangriffe sind Scheinangriffe«, fügte Dan hinzu.
»Ihr müsst die Nerven behalten und stehen bleiben. Normalerweise blufft der Bär. Er rast auf euch zu und dreht kurz vor euch ab.«
Nur – was wenn nicht?
»Wenn er nicht blufft, sondern angreift, benutzt ihr das Bärenspray«, beantwortete Angela die unausgesprochene Frage.
»Die Farbe des Sprays ist Orange. Ihr dürft nicht direkt auf das Gesicht des Bären zielen. Ihr müsst leicht nach unten zwischen euch und den Bären feuern«, erklärte die Fachfrau.
»Der farbige Nebel irritiert das Tier. Es sieht nichts mehr und hat natürlich höllische Schmerzen durch den Cayennepfeffer in der Nase. Damit ist der Bär erst einmal für eine Weile ausgeschaltet.«
Das Spray wurde am Gürtel getragen und sollte von nun an unser ständiger Begleiter sein. Wir durften uns nicht mehr von ihm trennen. Damit wir auch damit umgehen konnten, begann nun der unterhaltsame Teil der Übung. Wir lernten entsichern und zielen. Charlies Engel hätten alt ausgesehen gegen unsere Verrenkungen. Kichernd übernahm jeder einmal die Rolle des Bären und des Angreifers. Mit großem Getöse und Gebrülle liefen die »Bären« auf die Menschen zu. Diese brachten sich breitbeinig in Position und »feuerten«.
So lustig es auch aussah, sollten diese Spiele nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir uns in Yellowstone im »Prime Grizzly Habitat« bewegten. Das bedeutete, dass man hier grundsätzlich nie allein wandert. Den besten Schutz boten immer noch Gruppen von mindestens drei bis vier Menschen.
Nach der Mittagspause konzentrierten wir uns wieder auf die bevorstehende Arbeit. Dan gab einen kurzen Überblick über unsere Aufgabe. Wir sollten die Geode-Wolfsfamilie beobachten und insbesondere Wolf 392 folgen. Der Rüde trug ein GPS-Halsband. Ich war mit konventionellen Halsbändern vertraut. Aber mit dem GPS-Halsband kannte ich mich noch |120| nicht aus. Diese Technik war ebenso neu wie die »Summer Predation Study«, an der wir teilnahmen.
Bisher wurden die Studien zum Beutefangverhalten immer im Spätwinter durchgeführt. Im Schnee war es leichter zu erkennen, wo Wölfe ein Beutetier gerissen hatten. Hatten die Wölfe sich satt gefressen und waren verschwunden, wurde die Beute untersucht, um festzustellen, warum sie den Beutegreifern zum Opfer gefallen war. Auf diese Weise entdeckten die Forscher zum Beispiel, dass Wölfe – ganz im Gegensatz zu menschlichen Jägern – ältere Tiere töten und so die Hirschpopulationen gesund hielten.
Im Sommer war es bisher noch nicht möglich gewesen, solche Studien durchzuführen. Die Wölfe folgten ihren Beutetieren in höhere Gebiete. Sie teilten sich in kleinere Gruppen auf und wanderten über längere Strecken. Selbst aus der Luft gelang es kaum, sie mit konventioneller Technik zu orten. Mit den neuen Satellitenhalsbändern änderte sich das. Jetzt war es möglich, einem Wolf vom heimischen Computer aus per Mausklick zu folgen. Die Biologen hatten im Winter 2004 einen zweijährigen Rüden der Geode-Gruppe – Wolf Nummer 392 – mit der neuen Technik ausgestattet. Der Sender war so programmiert, dass er sich im Mai
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