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Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Titel: Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elli H. Radinger
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einer Blockhütte oder eines Hotels. Schließlich überwog die Müdigkeit. Mir fielen die Augen zu. Doch schon gegen halb vier war die Nachtruhe vorbei. Ich konnte nicht mehr schlafen. Mir taten alle Glieder weh. Ich baute das Zelt ab und fuhr los. Am Horizont zeigte sich der erste Streifen Dämmerung.
    Die nächsten dreieinhalb Stunden fuhr ich über Mammoth Hot Springs und Tower Junction in das Lamar Valley. Erst als ich das weite Hochtal vor mir sah, entspannte ich mich. Home, Sweet Home. Ich kam gerade rechtzeitig zur morgendlichen Wolfsbeobachtung. Nach dieser aufregenden Nacht sehnte ich mich nach nichts so sehr wie nach ein paar ganz normalen Grauwölfen.
    Im Sommer sind Wolfsbeobachtungen längst nicht so einfach möglich wie im Winter oder Frühjahr. Die Wölfe sind im Braun und Grün der Landschaft sehr viel schlechter zu entdecken. Hinzu kommt, dass sie durch den Fellwechsel schmaler, kleiner aussehen. Man kann sie schwerer wiedererkennen oder unterscheiden. Sie passen sich jetzt perfekt der Landschaft an. Im Sommer sind Wölfe außerdem eher als Einzelgänger unterwegs. |112| Sie folgen den Hirschrudeln, die sich in die höher gelegenen Gebiete zurückziehen. Erst im Herbst kommen die meisten Wolfsfamilien wieder in die Täler zurück. Sommertouristen sind oft enttäuscht, wenn sie nur sehr wenige Wölfe sehen.
    Das satte Grün Anfang Juli war ein ungewohnter Anblick für mich. Ohne die schweren Winterstiefel und nur mit einer leichten Jacke bekleidet, kam es mir vor, als würde ich schweben.
    Ich suchte das kleine, gelbe Auto von Rick McIntyre und meldete mich mit zwei Großtafeln Schokolade, die er so liebte, zurück. Etwa dreißig Autos standen in der Parkbucht und mindestens doppelt so viele Touristen. Alle beobachteten Wölfin Nummer 376 von den Druids. Sie spielte mit ihren Welpen in der Morgensonne. Meine Müdigkeit war mit einem Schlag verflogen.
    Die anderen Helfer der Wolfcrew trudelten ein. Wölfe, die sich eine Weile nicht gesehen haben, begrüßen sich überschwänglich mit Maulwinkellecken und freudigem Umeinanderspringen. Wir verzichteten auf das Springen und Lecken der Mundwinkel und umarmten uns stattdessen. Alle Freunde waren gekommen, um die Welpen zu sehen, deren »Entstehung« wir im Winter beobachtet hatten. Rick brachte uns auf den aktuellen Stand der Dinge. Die Druids bestanden jetzt aus zweiundzwanzig Wölfen (vierzehn Erwachsene und neun Welpen). Die Wölfin 376 auf dem Berg gegenüber besaß ein neues GPS-Halsband, das aber noch nicht funktionierte. Es war für Mitte Juli vorprogrammiert.
    Wir beobachteten die kleine Wolfsfamilie noch eine Weile. Als sie sich zur Mittagsruhe hinlegte, brachen wir zu einer Wanderung zur dreitausend Meter hoch gelegenen Specimen Ridge auf. Das hatten wir für diesen Tag des Wiedersehens geplant. Wir wollten Abschied nehmen von einer Wölfin, die wir viele Jahre kannten und die ein Teil unseres Lebens geworden war: von Cinderella, der Druid-Leitwölfin Nummer 42.
    Noch im Winter hatten wir das Elternpaar der Druids zusammen |113| beobachten können. Am Tag bevor Cinderella verschwand, hatten sie und ihr Partner Wolf Nummer 21 mehrere Stunden lang eng beieinander in der Sonne gelegen. Das Fell der Wölfe war mit zunehmendem Alter grauer geworden. Wie ein altes Ehepaar schienen sie immer mehr die Nähe des anderen zu genießen. Gelegentlich kuschelten sie sich enger aneinander und leckten ihre Schnauzen. Uns heimlichen Zuschauern wurde warm ums Herz. Ihr dichtes Fell leuchtete in der Sonne. Nie hatten sie schöner ausgesehen als an diesem Tag. Ich spürte einen unbestimmten leichten Schmerz. Ein Hauch von Abschied lag in der Luft.
    Am nächsten Tag war Cinderella verschwunden. Ihr Partner und die anderen Familienmitglieder verhielten sich unruhig. Sie heulten. Irgendetwas stimmte nicht. Rick drehte die Radioantenne mit ihrer Frequenz in alle Richtungen. Nichts. Die Stimmung unter den Wolfsbeobachtern war gedrückt. Doug Smith, der Leiter des Wolfsprojektes, machte sich mit dem Forschungsflugzeug auf die Suche. Später erfuhren wir, dass er ein Tot-Signal vom Halsband der Wölfin empfangen hatte. Aus dem Flugzeug sah Smith schließlich ihren blutüberströmten Körper auf dem Bergkamm der Specimen Ridge liegen.
    Rick überbrachte uns die Nachricht von Cinderellas Tod. Wir standen gerade auf einem Hügel. In der Ferne sahen wir Nummer 21 und seine Familie in der Nachmittagssonne dösen. Viele von uns weinten. Am nächsten Morgen ging Nummer 21, der

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