Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
später im Labor zu untersuchen und zur DNA-Analyse einzuschicken.
Als es wieder anfing zu regnen, kletterten wir zurück ins Camp. Unser Abendbrot nahmen wir im Regen stehend ein. Wegen der Bären konnten wir nicht im Zelt essen. Hundemüde verkroch ich mich in den kuscheligen Daunenschlafsack. Tausendmal hatte ich mich an diesem Tag gefragt, warum |123| um alles in der Welt ich mir so etwas antat. Nun lag ich erschöpft im Zelt. Kaum ein Teil meiner Ausrüstung war noch trocken. Es gab keinen Muskel mehr in meinem Körper, der nicht schmerzte. Und doch war ich glücklich. Schlief tief und fest – mit der einen Hand umklammerte ich das Bärenspray und mit der anderen die Taschenlampe, falls ich in der Nacht doch noch einmal rausmusste.
Am nächsten Morgen regnete es noch immer. Aber die Arbeit musste trotzdem erledigt werden. Und zum Glück ändert sich das Wetter in den Bergen ziemlich schnell. Die Wolken machten ein paar Sonnenstrahlen Platz. Nach einem schnellen Frühstück brachen wir schon wieder auf. Außer den Frequenzen von Wolf 392 hatte Dan auch noch die Daten von fünfzig Hirschkälbern auf seinem Laptop – alle trugen einen Chip im Ohr. Fanden wir ein solches Tier tot auf, mussten wir es genau untersuchen und möglichst die Todesursache feststellen. Unser Wolf führte uns zunächst zu den relativ frischen Knochen eines erwachsenen Hirsches. Dan machte sich an die Arbeit und kramte allerlei Werkzeug aus seinem Rucksack.
»Zuerst ziehe ich dem Hirsch einen Zahn«, erklärte er. »Der wird im Labor in Scheiben gesägt und unter dem Mikroskop untersucht. Anhand der Ringe können wir das Alter des Tieres bestimmen. Genau wie die Jahresringe bei einem Baumstamm.«
Flink durchtrennte er dann mit der Säge den Oberschenkelknochen.
»Schaut hier das Knochenmark«, Dan zeigte auf die Schnittstelle »das ist das Letzte, was aufgebraucht wird, wenn ein Tier verhungert.« Unser Hirsch hatte noch Knochenmark. Er war also nicht verhungert.
»An den Gelenken lässt sich feststellen, ob er Arthrose hatte«, fuhr Dan mit seinen Erklärungen fort. »Und der Kieferknochen zeigt uns, ob er unter Zahnschmerzen litt. Hirsche bekommen oft Parodontose.«
»Es sind übrigens die großen Hirschbullen, die im Winter |124| als Erste den Wölfen zum Opfer fallen«, erzählte Dan. »Könnt ihr euch vorstellen, warum?«
Verständnisloses Schulterzucken. Jetzt kam Angelas Part. Die beiden spielten sich die Stichworte zu wie Tennisbälle.
»Die Jungs haben im Herbst so viel zu tun. In der Brunft müssen sie ihren Harem zusammensuchen und bewachen. Müssen ihre Mädels gegen die Konkurrenten verteidigen. Da haben sie keine Zeit zu fressen.«
»Und schließlich verausgaben sie sich bei der Paarung«, fuhr sie grinsend fort. »Während die Mädels entspannt im Gras liegen und fressen, sind ihre Männer rund um die Uhr beschäftigt. Darum gehen sie sehr geschwächt in den kalten Winter.«
Das System leuchtete mir ein. Mutter Natur hatte alles fein arrangiert. Die Männchen wurden nach der Zeugung schließlich nicht mehr gebraucht. Die Hirschkühe dagegen brauchten im Winter all ihre Kraft für das neue Leben, das in ihnen wuchs. Nach der Geburt kümmerten sie sich allein um den Nachwuchs. Die einzige Aufgabe der so stolzen Hirschbullen war es, ihre Gene möglichst großflächig zu verteilen.
»Wie im richtigen Leben«, kommentierte John aus Santa Fe trocken und hatte die Lacher auf seiner Seite.
Wir folgten weiter den Spuren unseres Wolfes. Endlich einmal hatte ich die Gelegenheit, das Hellroaring-Plateau zu erkunden. Hellroaring – die brüllende Hölle. Einer der ersten Pioniere in Yellowstone hatte dem Gebiet seinen Namen gegeben. Wahrscheinlich hörte sich im Frühjahr nach der Schneeschmelze das Tosen des kleinen Flusses wie ein Höllenfeuer an. Wir befanden uns jetzt auf einem Hochplateau weit über unserem Camp. Außer ein paar Wanderpfaden gab es weit und breit keine Wege; nur endlose Wiesen und Blumen. Die zahlreichen ausgebleichten Knochen und Geweihe gehörten als Teil dieser Natur dazu. Die satten Weiden zogen die großen Grasfresser an. Die Hänge des Hellroaring Mountain waren in allen Brauntönen gesprenkelt. Im dunklen Braun der Bisonherden und im helleren Braunbeige der Wapitis. In |125| wenigen Wochen würde das Grün des Grases zu einem hellen Gelb vertrocknet sein. Jetzt war die Zeit der Grasfresser – aber auch der großen Beutegreifer. Sie mussten sich im Paradies wähnen. Überall fanden wir Spuren
Weitere Kostenlose Bücher