Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
selbst aktivierte.
Dan wollte seinen Laptop mit ins Camp nehmen und jeden Tag die Daten des Wolfes abrufen. 392 hinterließ eine Spur von roten Punkten auf dem Monitor. Überall, wo er sich besonders lange oder oft aufgehalten hatte, häuften sich die Punkte (»Cluster«). Unsere Aufgabe war es, zu den Orten zu wandern, an denen sich der Wolf mindestens zwei Stunden lang aufgehalten hatte. Wir sollten dann herausfinden, was die Ursache für das lange Verweilen an diesem Ort war.
Die Lebensdauer eines GPS-Halsbandes ist deutlich kürzer (drei bis acht Monate) als die eines »normalen« Radiohalsbandes (fünf Jahre). Je öfter die Daten abgerufen werden, desto schneller ist die Batterie leer. Dann müssen die Halsbänder ersetzt werden. Da es sehr schwer ist, Wölfe einzufangen, kann |121| das Halsband nun mittels Fernbedienung »abgesprengt« werden. Auf diese Weise kann man es wiederverwenden.
So weit unsere theoretische Einführung. Am nächsten Morgen würde der Theorie die Praxis folgen. Ich beeilte mich, zurück zu den Wölfen zu kommen. Im Lamar Valley zogen dicke Gewitterwolken auf. Der Regenguss, der folgte, versperrte jede Sicht. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich ins Zelt zurückzuziehen und die Wolfssuche für diesen Tag zu beenden. Ich wollte ausgeschlafen zur Wanderung aufbrechen.
Am nächsten Morgen packte ich noch im Regen das Zelt in den Rucksack und machte mich auf den Weg zum Hellroaring Trailhead, wo die Wanderung beginnen sollte. Als alle eingetroffen waren, folgte die Fortsetzung von Angelas Leave no trace-Übung. Inoffiziell nannten wir das, was jetzt kam: »How to shit in the woods.« Angela zeigte uns, wie wir uns in den nächsten Tagen »entleeren« sollten: Loch graben, Zielen, Geschäft machen. Das Ergebnis mithilfe eines Stöckchens mit Erde vermischen und gründlich (!) umrühren (damit sich die Angelegenheit leichter zersetzt). Loch wieder zuschaufeln. Zum Schluss noch Tannennadeln drüberstreuen, um keine Spuren zu hinterlassen. Ach ja – statt Klopapier empfahl die Expertin »natürlichen« Ersatz, wie Gras oder Tannenzapfen.
»Aber Vorsicht! Diese immer in der richtigen Richtung benutzen, da sonst Verletzungsgefahr besteht.«
Wer nicht auf Toilettenpapier verzichten konnte, musste das benutzte Papier in einer Plastiktüte wieder mit nach Hause nehmen. Offensichtlich gab es ganz gemeine Kleintiere, deren Namen ich nicht behalten habe. Auf jeden Fall graben sie menschliche Hinterlassenschaften aus, fressen sie und verstreuen das Papier in alle Winde.
Wir lauschten mit einer Mischung aus Belustigung und Staunen. David, ein Autobauer aus Seattle, verkündete daraufhin, er habe beschlossen, erst wieder nach der Rückkehr von der Tour aufs Klo zu gehen. Ich habe leider nicht darauf geachtet, ob er tatsächlich so lange durchgehalten hat.
|122| Gegen halb zehn waren wir bereit zum Abmarsch. Der Wanderweg zum Yellowstone-River führte durch ein felsiges Gebiet steil in die Tiefe. Nach einer Stunde verdunkelte sich der Himmel. Ein Hagel- und Gewittersturm brach über uns herein. Ohne Deckung kauerten wir uns auf den Boden. Die Rucksäcke als Schutz vor den Hagelkörnern über dem Kopf. Beim Anblick der zuckenden Blitze fiel mir Angelas Spruch beim gestrigen Bärentraining ein: »In Yellowstone werden mehr Menschen vom Blitz erschlagen als von Bären angegriffen.« Gestern hatte das noch beruhigend geklungen …
Der Sturm zog vorüber, und wir wanderten weiter – alle pudelnass. Über eine schmale, eiserne Hängebrücke überquerten wir den tosenden Yellowstone River. Der Weg führte am Fluss entlang und über eine weitere kleine Holzbrücke zum Basislager. Wir nutzten eine kurze Wolkenlücke, um schnell unsere Zelte aufzubauen, bevor es schon wieder zu regnen anfing.
Angelas mahnende Worte im Ohr, packten wir unsere Lebensmittel in Säcke und zogen sie mit einem Seil auf einen »Bärenbalken« zwischen zwei Bäumen. Dort thronten sie jetzt unerreichbar für Meister Petz. Oberste Vorsicht und Sauberkeit lautete die Devise im Grizzlygebiet.
Trotz müder Beine gönnten uns die beiden Chef-Antreiber keine Zeit zum Ausruhen. Wolf 392 wartete auf uns. Dan lud die ersten Daten auf seinen Laptop. Mit einem GPS-Peilgerät machten wir uns auf die Suche. Nach einigem Klettern fanden wir die etwa vier Tage alten Überreste eines toten Hirschkalbs. Auf einem Formblatt wurden der Fundort, das mutmaßliche Gewicht und das Geschlecht des Kalbs notiert. Wir sammelten Knochenreste ein, um sie
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