Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
denn nur die Wölfe sind in der Lage, einen Kadaver zu öffnen, damit auch die Raben von der Beute fressen können. So profitieren beide Arten voneinander. Heute ist die Forschung schon so weit, dass sie in dem Verhältnis Wolf-Rabe mehr sieht als eine Symbiose auf bestimmte Zeit. Bernd Heinrich spricht von einer gemeinsamen evolutionären Geschichte.
Diese Zusammenhänge sind es auch, die für mich die Beobachtungen in Yellowstone so faszinierend machen. Hier kann ich die Tiere in ihrem natürlichen Umfeld beobachten und so – ganz anders als in Gefangenschaft – das
ganze
Bild begreifen. Hier verstehe ich die Zusammenhänge, weil ich mich in
ihre
Welt, die Welt der Tiere begebe.
Am nächsten Morgen fanden wir Pumaspuren bei den Zelten. Das Felsmassiv hinter dem Camp war die Heimat der Pumas – auch Berglöwen oder Cougars genannt. Etwa zwanzig Exemplare dieser scheuen Großkatzen gab es im Park. Es war Zeit für den Kurs: »Wie verhalte ich mich bei einem Puma-Angriff?« Angela war wieder in ihrem Element und fing mit der guten Nachricht an.
»In Yellowstone hat es bisher nur ganz wenige Angriffe von Pumas auf Menschen gegeben«, beruhigte sie uns. »Wir |128| sollten allerdings zusammenbleiben, wenn das Tier so nahe ist.«
Bei einem Angriff sei es wichtig »Größe« zu zeigen. Körperliche Größe!
»Wenn ihr einen Puma seht, bleibt eng in der Gruppe zusammen. Macht euch größer. Wenn Kinder dabei sind, setzt sie auf eure Schultern. Macht Lärm. Beugt euch nicht herunter, um einen Stock aufzuheben. Verhaltet euch dominant. Starrt dem Puma in die Augen und zeigt eure Zähne. Damit könnt ihr ihn vertreiben.«
Aha. Der Miezekatze in die Augen starren und die Zähne fletschen. Irgendwo hatte ich einmal gelesen, dass man in Kanada Experimente mit Masken macht, auf die menschliche Gesichter gemalt sind. Da die Großkatzen angeblich nur von hinten angreifen, tragen Jogger und Wanderer in Pumagebieten diese Masken am Hinterkopf. Das soll die Katze verwirren. Da verließ ich mich doch lieber auf mein Pfefferspray. Aber ich machte mir auch keine allzu großen Sorgen. Ich wusste, wie scheu diese Berglöwen sind. Ich fuhr seit dreißig Jahren nach Yellowstone und hatte erst zweimal das Glück, einen Puma zu sehen.
Einmal, im Winter, wurde ich über Funk zum »Hellroaring Overlook« gerufen. Das ist eine kleine Parkbucht mit Blick über unser momentanes Forschungsgebiet.
»Komm schnell, wir haben was für dich«, funkten meine Freunde vom Wolfsprojekt.
Wir haben was für dich. Das magische Stichwort, dass irgendetwas »Spannendes« los ist. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich herumgesprochen, was zu sehen war. Eine Pumamutter mit ihren drei Jungen! Das war eine Sensation. Ich schaffte es gerade noch, einen Parkplatz zu erwischen und mein Spektiv aufzustellen. Der Platz, von dem aus man durch die Bäume die Tiere sehen konnte, war eng. Wir wechselten uns ab. So konnte jeder einmal einen Blick auf die Berglöwen werfen. Die Wölfe hatten einen Riss liegen gelassen und waren weitergezogen. Die Pumamutter nutzte die Chance und |129| fraß an dem Kadaver. Ihre Kleinen konnten noch nicht sehr alt sein. Ihr Fell hatte noch dunkle Babyflecken. Während wir die seltenen Tiere beobachteten, machten die Sheriffs vom Park Service das Geschäft ihres Lebens. Die Autos in der Parkbucht standen schon eng gedrängt in Dreierreihen. Die neu Hinzukommenden fanden keinen Platz mehr. Sie parkten verbotenerweise auf der Straße. Zwei Sheriffs waren ungewöhnlich schnell zur Stelle. Sie verteilten Strafzettel im Minutentakt – hundert Dollar pro Wagen. Fuhr ein Autofahrer fort, schob sich der nächste in die Lücke. Vielen war der Blick auf die Pumas hundert Dollar wert. Der Rubel rollte für den Yellowstone-Park.
Die Show ging weiter. Mama Puma war inzwischen verschwunden. Vermutlich zog sie den Kadaver an einen sicheren Ort. Die Kleinen blieben allein zurück.
»Die Wölfe kommen«, rief jemand aus der Menge. Und tatsächlich kehrten zwei Jungwölfe zurück. Blitzschnell kletterten die Kätzchen auf den Baum, die Wölfe dicht auf den Fersen. Normalerweise gehen sich Puma und Wolf aus dem Weg. Aber gelegentlich töten Wölfe auch einmal einen Berglöwen oder seine Jungen. Die unerfahrenen Jungwölfe sahen in den jungen Katzen aber eher ein Spielzeug. Sie sprangen am Baum hoch, während die Kleinen von oben herabfauchten und die Krallen ausfuhren. Schließlich verloren die Wölfe die Lust am Spiel und zogen davon. Ich riss
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