Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
mich von dem Anblick los und räumte meinen Parkplatz für einen glücklichen Touristen. Ich würde noch öfter die Gelegenheit haben, einen Puma zu sehen.
Im Wolf Camp übernachteten wir nun mitten unter Pumas, Grizzlys und Wölfen. Ich nahm mir vor, am Abend nichts mehr zu trinken, um in der Nacht nicht aus dem Zelt zu müssen. Allein die Ausrüstung, die ich würde mitschleppen müssen: Schippe, Beutel, Taschenlampe, Bärenspray – ich hatte einfach nicht genügend Hände.
Ich schlief durch. Keine nächtlichen Ausflüge. Der nächste Tag war wieder proppenvoll mit Clusters, Positionsbestimmungen, |130| Kadaversuche, Knochen bestimmen und Kot sammeln. Wir kletterten auf einen Aussichtspunkt und suchten die Geode-Wölfe. Vergeblich. Am Abend erfuhren wir anhand des Datendownloads, dass sich 392 die meiste Zeit, in der wir nach ihm suchten, in der Nähe der Wurfhöhle aufgehalten hatte. Wahrscheinlich hatte er noch einen vollen Bauch gehabt und war entsprechend träge.
Ich genoss noch einmal die Landschaft und nahm sie mit allen Sinnen auf. Die Gruppe war ruhiger geworden. Jeder schien für sich bleiben zu wollen. Vielleicht lag es an der ungewohnten Anstrengung und der frischen Luft. Aber ich glaube, es war noch etwas anderes. Ich nenne es den »Wildnis-Effekt«. Die intensive Nähe zur Natur verändert alle, die sich längere Zeit in ihr aufhalten. Besonders wenn die Natur so allumfassend und überwältigend ist wie hier. Dazu noch die Nähe großer Beutegreifer, die uns wachsamer macht. Wer kann sich dieser Magie schon entziehen?
Der Aufstieg zum Trailhead verlief schweigsam. Jeder hing in den vier Stunden, während wir aus dem Tal kletterten, seinen Gedanken nach. Abschiedsstimmung lag in der Luft. Bei den Autos angekommen, tauschten wir E-Mail-Adressen aus. Dann trennten sich unsere Wege.
Ich wollte endlich mal wieder in einem Bett schlafen und mietete mich in einem kleinen Hotel in Gardiner ein. Die Ausrüstung trocknete im Zimmer, und ich feierte mit einer großen Pizza die Rückkehr in die Zivilisation. Müde und glücklich sank ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Am nächsten Tag zog ich mit dem inzwischen trockenen Zelt wieder zu Ray und Darlene nach Pebble Creek um. Die vertraute tägliche Wolfsbeobachtungsroutine bestimmte wieder meinen Alltag. Losfahren in der Dunkelheit. Wölfe beobachten. Am späten Vormittag zum Frühstücken fahren. Eine Runde schlafen. Am Nachmittag wieder zu den Wölfen. In der Dunkelheit nach Hause. Meist lag ich um elf Uhr abends im Bett und stand bereits um drei Uhr wieder auf.
|131| Die Routine, das einfache, strukturierte Leben, die Wölfe und die Natur, die unglaubliche Schönheit der Landschaft von Yellowstone, die mich so oft in Staunen und Bewunderung versetzte – all dies erfüllte mich mit tiefem Glück und Dankbarkeit.
Die Wölfe hielten mich in Atem. Nun begann die Zeit, in der sie ihre Jungen aus den Wurfhöhlen zum Rendezvousplatz brachten. Meist in der Nacht, manchmal auch in der Morgen- oder Abenddämmerung packten sie die Kleinen am Genick, am Bauch oder manchmal auch an einem Bein und trugen sie den Berg hinunter, über die Straße, durch den Fluss an einen Ort, an dem sie sich die nächsten Wochen und Monate aufhalten würden. Wir nennen es das Rendezvousgebiet. Es ist quasi das Wohnzimmer der Wölfe. Hier bleiben die Kleinen, bewacht von einem der älteren Tiere als »Babysitter«, wenn die Alten zur Jagd aufbrechen. Auch ihre ersten kleineren Ausflüge unternehmen sie von hier aus.
Für uns Wolfsbeobachter ist das immer die spannendste und intensivste Zeit. Jetzt können wir herausfinden, wie viele Welpen tatsächlich geboren wurden und die ersten Wochen überlebt haben. Rick brauchte jetzt viele Helfer, um jede Ecke des Lamar Valley mit Beobachtern zu besetzen. Für das Wolfsprojekt waren wir besonders in dieser Zeit unentbehrlich.
Eines Morgens erhielt ich über Funk die Meldung, dass ein Grizzly auf dem Weg ins Rendezvousgebiet war. Die erwachsenen Wölfe waren schon vor längerer Zeit zur Jagd aufgebrochen. Nur ein Jährling passte auf die Welpen auf. Und tatsächlich – ein riesiger Grizzly schlenderte gemütlich durch das Tal und kam dabei den Welpen immer näher. Noch hatte er nicht gemerkt, in wessen Wohnzimmer er sich herumtrieb. Genüsslich schaufelte er Wildblumen in sich hinein und grub nach Wurzeln. Dann, wenige Meter von den Welpen entfernt, nahm er ihre Witterung auf und fing an zu suchen. Als er den Kleinen bedrohlich
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