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Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Titel: Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elli H. Radinger
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ein. Wir teilten uns eine Tafel Schokolade, und Bob erzählte mir, dass sein nächstes Projekt ein Film über unseren »Casanova« (Wolf 302) sei. Dann stieg er wieder in sein Auto und fuhr davon. Der Casanova-Film »The Rise of Black Wolf« erhielt 2011 beim Missoula Wildlife Film Festival den ersten Preis für den besten Tierverhaltensfilm.
    Es sind die Ruhe und Bescheidenheit, die den Tierfilmer in meinen Augen so auszeichnen. Oft steht er stundenlang in eisiger Kälte und bei dichtem Schneesturm auf einem Hügel im Slough-Gebiet, der inzwischen seinen Namen trägt: Bobs Knob. Wie eine Statue in Jeans und dickem Parka, die warme Schildmütze tief über die Ohren gezogen. Wenn er in seinen scheinbar viel zu weiten, abgetragenen Winterstiefeln losschlurft, habe ich stets die Vision, dass er irgendwann einmal schneller ist als seine Schuhe und sie auf der Straße zurückbleiben, während er in Socken die nächste spannende Szene filmt.
    |166| Nur einmal hörte ich Bob fluchen: Er filmte gerade das Paarungsvorspiel von zwei Wölfen, ein zauberhaftes Getänzel, Flirten und Werben. Gerade als der Rüde auf die Wölfin sprang, hörte ich ein lautes »Sch …« und sah Bob zum Auto zurückrennen.
    »Akku leer«, fluchte er. Er hatte den Ersatzakku im Auto liegengelassen. Hektisch kramte er im Kofferraumchaos, tauchte schließlich mit dem kostbaren Teil wieder auf und rannte zurück zur Kamera. Die Wölfe hingen zwar noch im Paarungsakt zusammen, aber den eigentlichen Moment hatte er verpasst.
    Bob hat zahlreiche Emmys und Filmauszeichnungen gewonnen. Er hat im Denali Nationalpark, Alaska, im Kluane Nationalpark, Yukon, und im Algonquin Nationalpark, Ontario, gedreht. Sein Zuhause ist jedoch der Yellowstone-Nationalpark, wo er Filme gemacht hat über das Verhalten von Kojoten, die großen Feuer und ihre Auswirkungen, den Lebenszyklus einer Hirschherde und ein Jahr im Leben eines Trompeterschwanes. Sein Lieblingsthema aber sind die Wölfe.
    Von Bob habe ich viel gelernt. Als er gerade einen Bisonfilm drehte, hatte ich zuvor beobachtet, wie eines der Tiere mit einem gebrochenen Bein schon tagelang herumgehumpelt war. Dennoch waren noch keine Wölfe oder Bären aufgetaucht, was mich ein wenig verwunderte.
    »Bisons sind unglaublich hart im Nehmen«, erklärte mir Bob. »Ich habe einmal einen schwerverletzten Bison über vier Wochen lang gefilmt, bis er gestorben ist. Keiner der Beutegreifer hat sich an ihn herangetraut.«
    In Sachen Geduld ist der Tierfilmer mit dem lockigen Bart und der großen Brille wahrlich ein grandioser Lehrmeister.
     
    Die Natur hat ihre eigene Zeit. Vieles können wir gar nicht mit menschlichen Maßstäben messen. Als 1995 die ersten Wölfe nach langer Abwesenheit nach Yellowstone zurückkamen, hatten wir noch keine Ahnung, welche Auswirkungen dies auf ihre Beutetiere und das gesamte Ökosystem haben |167| würde. Das sollten wir erst viel später begreifen. Doch diese Entwicklung ist noch längst nicht abgeschlossen und wird es wohl auch niemals sein. Ich habe gelernt, in anderen Zeiträumen zu denken. Was sind zwei oder drei Jahre Naturbeobachtung gegen das Lebensalter eines Grizzlys (dreißig Jahre), dem eines dreihundert Jahre alten Waldes oder eines zehntausend Jahre alten Flusses?
    Wir erwarten immer noch viel zu viel, und das zu schnell. Wir erwarten, dass wir eine Tierart in ein Ökosystem zurückbringen, und ein paar Jahre später läuft alles nach Plan. Wir rechnen nicht mit Rückschlägen, dem Unvorhersehbaren. Doch die Natur bringt unsere schöne Kalkulation immer wieder durcheinander.
    Meine Aufenthalte in Yellowstone lehren mich jedes Jahr aufs Neue eine meiner schwersten Lektionen: keine Erwartungen zu haben. Ich bin eine Träumerin. Ich träume mir mein Leben so, wie es meiner Auffassung nach sein sollte: die perfekte Ehe, den perfekten Job, das perfekte Haus, das perfekte Buch. Dass das nicht funktionieren kann, liegt auf der Hand. Eine sehr kluge Freundin von mir sagte einmal: »Auf der Suche nach dem perfekten Leben verpassen wir das eigentliche Leben.« Und auch John Lennon drückte es treffend aus: »Leben ist das, was passiert, während du fleißig dabei bist, andere Pläne zu schmieden.«
    Die Natur und die Wölfe holen mich immer wieder auf den Boden zurück, machen mich gelassener und entspannter, wenn sich das Leben wieder einmal meinen Vorstellungen widersetzt und einfach »passiert«.
     
    Die Sonne schien jetzt auf meinen Aussichtspunkt. Ich konnte die Jacke ausziehen.

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