Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
nichts! Wir schauten uns an. Einer von uns gluckste, prustete los. Wir lachten und lachten. Da hatte uns der »alte Zuverlässige« doch einen Streich gespielt. Später erfuhr ich, dass in der Nacht ein paar stärkere Erdbeben den Zeitplan des Geysirs durcheinandergewirbelt hatten.
Ich hätte an diesem Tag eine gute Cartoon-Figur abgegeben. Voll durchgeplantes Programm, straffer Zeitplan. Alles musste funktionieren. Und dann zwang mich ein Geysir zum abrupten Innehalten. Wie ein Polizist, der vor mir steht und die Hand hebt. Stopp! Der Geysir hatte mir gezeigt, dass in der Natur das Element des Ungewissen vorherrscht. Wie vermessen war es, zu glauben, dass die Gesetze der Natur mit vorhersehbarer Regelmäßigkeit ablaufen? Den Rest des Tages fühlten wir uns alle, als hätten wir die Schule geschwänzt. Den Regeln entkommen.
Im Winter 2009 traf ich im Little America einen deutschen Tierfilmer. Wir unterhielten uns eine Weile über seine Arbeit und über die Tiere hier im Nationalpark.
»Sie kennen sich doch aus«, sagte er. »Wo kann ich eine Wolfsjagd filmen?«
Gerade eben noch waren nur zwanzig Meter von uns entfernt zwei Wölfe über die Straße gelaufen. Zum Filmen war es jedoch schon zu dunkel.
Ich wunderte mich. Der Tierfilmer sollte doch am besten wissen, dass ich eine Wolfsjagd nicht »bestellen« kann.
»Morgen um 10:30 Uhr an Tower Junction!«
|164| Und ich versuchte, zu erklären, was der Profi schon sehr viel länger wusste – dass zu einer Wolfsjagd Zeit, Geduld und sehr viel Glück gehören.
»Aber ich brauche
jetzt
eine Szene. Ich fliege übermorgen nach Hause.«
Mein Hinweis auf seinen Kollegen Bob Landis, der für den Film von National Geographic »Das Tal der Wölfe« ganze fünf Jahre lang gefilmt hatte – und das mindest dreihundertfünfzig Tage im Jahr bei jedem Wetter, verhallte ungehört.
»Es gibt doch hier wunderschöne Landschaften und faszinierende andere Tierarten«, war mein zaghafter Vorschlag.
»Dafür habe ich keine Zeit. Die Privatsender haben enge Zeitlimits. Und sie wollen Action sehen.« Schließlich gehe es darum, schnell Quote und damit auch Geld zu machen. Er könne es sich nicht leisten, monatelang Bisons, Hirsche oder schlafende Wölfe zu filmen. Doch eine Wolfsjagd auf Bestellung konnte ich nicht liefern und ließ einen ratlosen Tierfilmer zurück, der ohne Action-Szenen nach Hause fahren musste.
Die Jagd nach dem schnellen Kick. Das scheint das Motto der zivilisierten Welt zu sein. E-Mails, SMS, Twitter, alles muss schnell gehen. Unser Leben rast, und wir sind immer schneller gelangweilt. Ein qualitativ hochwertiges Essen zu kochen braucht gute Zutaten und Zeit. Also essen wir lieber Fast Food. Wir wollen unterhalten werden, und wenn uns das Programm nicht passt, wechseln wir den Kanal. Multitasking ist angesagt. Ständig muss etwas passieren. Ruhe und Stille waren gestern, Action ist heute.
Wie anders dagegen arbeiten Tierfilmer wie Bob Landis. Jeder seiner grandiosen Filme wurde in einem Zeitraum von mehreren Jahren gedreht. Bob ist unabhängig und hat seine eigene Filmfirma. Seine Filme werden von National Geographic oder vom Fernsehsender Nature gekauft. Er lebt in Gardiner und kann es sich daher leisten, täglich im Park zu sein. Sein Toyota Prius ist bis unters Dach vollgestopft mit Kameras, Ausrüstung, Verpflegung. Mit dem Funkgerät hält er |165| Kontakt zu Rick, sagt jedoch meist nichts, wenn er eine gute Sichtung hat, weil er beim Drehen allein sein will. Ich beobachtete ihn an einem der nächsten Tage nach dem Treffen mit seinem deutschen Kollegen, als er selbst gerade bei der Arbeit war und tatsächlich eine Wolfsjagd vor die Linse bekam. Bob fuhr mit dem Auto vor mir her. Plötzlich schoss er in die nächste Parkbucht, sprang aus dem Wagen, riss die Heckklappe auf, zerrte die riesige Profi-Kamera heraus, warf sie sich auf die Schulter und rannte, so schnell er konnte, einen Hügel an der Straße hoch.
Wie – wo – was? Ich saß verblüfft in meinem Auto. Was hatte ich verpasst, was Bobs erfahrene Augen gesehen hatten? Ich stieg aus und achtete dabei sorgfältig darauf, dass ich nur ja nicht die Autotür zuschlug, denn das würde den Profi verärgern. Leise folgte ich ihm. Und tatsächlich, da war sie, die Wolfsjagd. Acht Tiere kamen aus dem Wald und verfolgten eine Hirschkuh. Sie konnten sie fast berühren, als die Beute noch einmal einen Haken schlug und entkam.
»Gar nicht schlecht«, freute sich Bob und packte seine Ausrüstung wieder
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