Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
ein Tier leiden sehe, so wie den Wolf mit dem gebrochenen Bein. Ich möchte immer noch helfen. Aber ich akzeptiere auch, dass ich nicht immer etwas tun kann oder muss und dass ich nicht jeden retten kann. In diesem Moment konnte ich nur hoffen, dass die Familie des verletzten Wolfes zurückkam und sich um ihn kümmerte. Was mir blieb, war, einen Schritt zurückzutreten und der Natur ihren Lauf zu lassen.
Warum fällt uns Menschen das so schwer? Warum müssen wir alles kontrollieren und manipulieren? Diese Frage stelle ich mir oft. Der Yellowstone-Nationalpark ist in gewisser Weise ein Widerspruch in sich. Auf der einen Seite ist er pure, unberührte Natur. Ein perfektes Ökosystem. Auf der anderen Seite ein Experimentierfeld für Wissenschaftler.
Es gibt ein phantastisches Buch von Alston Chase: »Playing God in Yellowstone«. Dieses Buch erschien 1986 und stand viele Jahre auf der »Schwarzen Liste«. Es durfte in keinem Nationalpark verkauft werden. Heute ist es wieder überall erhältlich. Der Autor geht hart mit der Nationalparkverwaltung ins Gericht. Von der Vernichtung von Tierarten (Wolf und Bär) bis zur Feuerbekämpfungspolitik. Alles werde manipuliert. Die Kernaussage: In seiner Überheblichkeit, sich selbst als Krone der Schöpfung zu sehen, zerstört die Nationalparkverwaltung den Nationalpark.
|174| Doch in den letzten fünfundzwanzig Jahren haben wir dazugelernt – sollte man meinen. Auch wenn ich mitunter Zweifel daran habe. Zwar sind Wölfe und Grizzlybären wieder zurückgekehrt, und das Ökosystem hat sich reguliert. Aber es gibt kaum eine »bedeutende« Tierart, die nicht in ein wissenschaftliches Projekt involviert ist. So finden wir Bären, Pumas, Kojoten und Wölfe mit Sendehalsbändern. Und selbst die Bisons tragen breite, manchmal weiße Halsbänder.
Die Wissenschaftler argumentieren, dass die Tiere sich nicht an den Halsbändern stören, das träfe auch auf die Wölfe zu. Doch ich bin – ganz unwissenschaftlich – anderer Ansicht. Einige Wölfe wehren sich. Ich weiß von mindestens drei Wolfsgruppen, die sich gegenseitig das lästige Anhängsel abgekaut haben. Als Reaktion auf diese deutliche Absage entwickelten die Wissenschaftler Halsbänder mit Stahleinlagen. Als auch diese von den Wölfen zerbissen wurden, baute man Stacheln in die Halsbänder. Statt den Willen der Wölfe zu akzeptieren, wurde er unterdrückt.
Ich habe zwei ausgediente Radiohalsbänder zu Hause und nehme sie oft zu Vorträgen mit. Meine Zuhörer sind jedes Mal erstaunt, wenn sie ein Halsband in die Hand nehmen.
»Das ist aber schwer« und »Stört das den Wolf nicht?«, fragen sie mich. Ich glaube nicht, dass ein Wissenschaftler längere Zeit mit so einem Monstrum um den Hals herumlaufen möchte.
Brauchen wir Radiohalsbänder, und brauchen wir Forschung? Es gibt kein einfaches Ja oder Nein auf diese Frage.
Mein erstes Erlebnis, das mich mit den realen Folgen der Wolfsforschung konfrontierte, ließ mich früh an dieser Form der wissenschaftlichen Arbeit zweifeln.
Ende September 1991 war ich in Montana und Wyoming auf der Suche nach Wölfen. Ich hatte Hinweise bekommen, dass ich möglicherweise im Glacier Nationalpark an der Grenze zu Kanada Glück haben könnte. Bis zu meinem Rückflug hatte ich nur noch drei Tage Zeit. Aber ich wollte versuchen, mehr in Erfahrung zu bringen. Vierzig Meilen Autofahrt |175| über Stock und Stein führten mich in zwei Stunden von der spektakulären Going to the Sun Road zum entlegenen Kintla Lake. Lyle Ruterbories, der Ranger und Campground Host, erzählte mir, dass es auf jedem der umliegenden Berge Wölfe gebe. Die Größe der einzelnen Wolfsfamilien kannte er nicht. Eine große schwarze Wölfin, die auch keine Angst vor Menschen habe, sei des Öfteren gesehen worden, Einmal habe sie sogar mit ihren fünf Jungen auf der Straße gespielt. Allerdings müsse ich vorsichtig sein. Es gebe hier jede Menge Grizzlys und Schwarzbären. Lyle zeigte auf die vergitterten Fenster und Türen der Ranger-Hütte; die tiefen Kratzspuren darauf bestätigten seine Warnung. Ich packte meine Essensvorräte in die vorgesehenen bärensicheren Stahlkisten und sah zu, wie die Sonne hinter den Bergen versank. Das Wissen, dass dort in den dunklen Wäldern eine Wölfin ihre Jungen großzog, machte mich glücklich.
Am nächsten Tag musste ich schon wieder zurück in die Zivilisation. Ich stand früh auf. Eine lange, holprige Fahrt lag vor mir. Nach einer halben Stunde hielt ich an. Zwei Hirsche
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