Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen
Nahrungskonkurrenten und töteten sie. Weniger Kojoten bedeuteten wiederum mehr kleine Nager, Wühlmäuse und Erdhörnchen für andere Beutegreifer wie Füchse, Habichte, Eulen, Marder und Dachse. Deren Populationen konnten sich nun vermehren.
Auch die Bären lernten sehr schnell die Rückkehr der Wölfe zu schätzen. Sie folgten ihnen und nahmen ihnen die Beute ab. Weil die Wölfe für ausreichendes Protein sorgten, kamen immer mehr Bären frühzeitig aus ihrer Winterruhe. Rotes Fleisch ist eine unglaublich reichhaltige Quelle von Nährstoffen und Energie.
Die Hirschkuh, die jetzt tot vor mir in der Ebene lag, ernährte nicht nur die Wölfe, sondern auch zahlreiche andere Tiere. Nichts wurde verschwendet. Innerhalb der nächsten |159| Stunden trafen sechs Kojoten, zwei Weißkopfseeadler, ein Steinadler und schließlich ein Grizzlybär am Mittagstisch ein. Zahlreiche Raben und Elstern zankten sich um die kleineren Brocken.
Wenn in ein paar Tagen, Wochen und Monaten nichts mehr von der Hirschkuh übrig war, außer ein paar ausgebleichten Knochen, würde der Boden an der Stelle, an der das Tier gelegen hatte, einhundert bis sechshundert Prozent mehr anorganischen Stickstoff, Phosphor und Kalium enthalten als die Umgebung. Manche Tierarten, wie beispielsweise Elche, fressen gern stickstoffreiche Pflanzen. Der Urin und Kot der Tiere, die diese Pflanzen fressen, trägt noch mehr zur Fruchtbarkeit der Erde bei. Auch wachsen an diesen Stellen mehr Bakterien und Pilze.
Den Wölfen beim Fressen zuzuschauen hatte auch mich hungrig gemacht. Es war Zeit für ein ordentliches Frühstück und sehr viel Kaffee. Ich fuhr nach Cooke City in die Soda Butte Lodge. Es war ruhig im Restaurant. Überall auf den Tischen stand noch das schmutzige Geschirr. Der Koch kam zu mir und nahm die Bestellung auf.
»Sorry für das Chaos hier«, entschuldigte er sich. »Jenny, meine Bedienung, ist gerade erst zur Arbeit gekommen. Sie konnte nicht aus ihrem Haus, weil ein Grizzly vor der Tür stand.«
Ein Grizzly vor der Tür – das wäre doch mal eine Ausrede für Zuspätkommen am deutschen Arbeitsplatz!
Der Bär hatte schon am Vortag für Aufregung gesorgt. Ich war mittags in meine Cabin gefahren, um mich ein wenig hinzulegen, als ich lautes Rufen und Schreien hörte. Ich öffnete die Tür … und schlug sie gleich wieder zu. Auf der anderen Straßenseite stöberte ein Bär durch den Müll. Dann hatte er entdeckt, was ein nachlässiger Dorfbewohner einfach abgestellt hatte: eine Kühlbox mit einer Gallone (vier Liter) Speiseeis. Es musste wohl noch genügend Eis übrig gewesen sein, um die feine Nase des Bären anzulocken. Der Grizzly saß in |160| Bilderbuchpose auf dem Hintern, hielt die Kühlbox mit beiden Pfoten hoch und steckte den Kopf hinein. Gelegentlich schaute er mit Eis verschmiertem Gesicht nach den Zweibeinern, die versuchten, ihn mit Schreien und Steinen wegzujagen. Erst als er seine Mahlzeit beendet hatte, trollte er sich gemütlich auf der Hauptstraße in Richtung Nationalpark. Ich fragte mich, ob es wohl dieser Bär war, der die Kellnerin von der Arbeit abgehalten hatte.
Als Jenny mir mein Frühstück brachte, konnte sie schon wieder lachen.
»So ist das, wenn du hier lebst«, sagte sie. »Du musst mit allem rechnen.«
Als ich nach dem Frühstück wieder auf meinen Aussichtspunkt kletterte, schaute ich einmal mehr über meine Schulter, um sicherzugehen, dass sich hier kein Bär herumtrieb.
Vor einem Jahr hatte ich an derselben Stelle mit einer Gruppe eine Fast-nah-Begegnung mit einem Grizzly, die noch bis zum heutigen Tag für Gelächter sorgt, wenn wir uns wiedersehen.
Wir waren auf Wolfsbeobachtungstour. Doris, die älteste der Gruppe, tat sich ein wenig schwer mit dem Laufen. Ihr stand nach ihrer Heimkehr eine Knieoperation bevor. Meine Wanderstöcke erleichterten ihr den Aufstieg auf den Hügel. Oben angekommen, verteilten wir uns und stellten unsere Spektive auf. Kathie, meine Wolfsfreundin aus Colorado, stand etwa zehn Meter von uns entfernt auf gleicher Höhe. Wir alle beobachteten im Tal vier Grizzlybären und mehrere Wölfe an einem Kadaver. Von unserem Standpunkt aus konnten wir die Straße nicht einsehen, hörten aber, dass dort nach und nach Autos eintrafen. Das Bärenspektakel lockte auch die Fotografen an. Einer der Bären ging in Richtung Straße und verschwand aus unserem Blickfeld. Wir dachten uns nichts dabei und beobachteten weiter die restlichen Bären. Plötzlich fragte Doris: »Elli, was ist
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