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Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen

Titel: Wolfskuesse - Mein Leben unter Woelfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elli H. Radinger
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denn das Braune, das da kommt?«
    Ich folgte ihrem ausgestreckten Arm – und sah einen der |161| Bären auf dem Hügel direkt auf uns zukommen. Zwischen dem Grizzly und uns stand nur noch Kathie, die keine Ahnung hatte, wer sich ihr näherte. So leise wie möglich funkte ich sie an:
    »Kathie, da kommt ein Bär auf dich zu.«
    Kathie reagierte sofort. Sie schaute sich noch nicht einmal um, sondern packte ihr Spektiv und stieg auf geradem Weg den steilen Hügel hinunter. Erst weiter unten blickte sie zurück.
    Unterdessen lief der Grizzly unbeirrt seinen Weg. Direkt auf uns zu. Er hatte die Nase auf dem Boden und marschierte den Wanderweg entlang.
    »Bär!«, sagte ich zu meiner Gruppe. Solche Zwischenfälle hatten wir zuvor besprochen. Sie wussten, was jetzt zu tun war. Schnell, aber nicht zu schnell und ruhig (zumindest äußerlich) machten alle kehrt und gingen den steilen Weg hinunter. Ich bildete mit dem entsicherten Pfefferspray die Nachhut. Doch Doris kam trotz ihrer Stöcke nicht so schnell vorwärts, wie sie wollte – oder hätte müssen. Obwohl der Bär langsam lief, kam er uns immer näher.
    »Schneller, Doris«, trieb ich die Arme an.
    »Ich kann nicht. Es geht nicht schneller.«
    Der Bär kam näher.
    »Liebe Doris, ich glaube,
jetzt
ist der Augenblick, wirklich schneller zu laufen«, zischte ich ihr von hinten zu.
    Doris warf einen Blick über ihre Schulter auf den Bären.
    Mit einem mutigen »Ach, was soll’s!« hob sie die Stöcke hoch in die Luft und eilte mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit den anderen nach. Wir schafften es ins sichere Auto. Gerade als wir die Türen zuschlugen, lief der Bär am Auto vorbei, überquerte die Straße, durchschwamm den Lamar River und trollte sich auf der anderen Seite weiter. Er schaute nicht einmal zu uns herüber.
    Wir stiegen wieder aus dem Auto – und trafen auf ein Filmteam von BBC.
    »Großartige Aufnahmen!«, riefen sie und zeigten uns den |162| erhobenen Daumen. Sie hatten unsere Flucht vor dem Bären und die wundersame Heilung von Doris gefilmt.
    Noch heute denke ich gern an dieses Erlebnis und wie sehr Doris angesichts der drohenden Gefahr über sich hinausgewachsen ist. Wir hatten auf dieser Tour noch viele großartige Wolfs- und Bärensichtungen, aber diese Geschichte gehört wohl zu denen, die am häufigsten erzählt wurden.
    Von meinem Aussichtspunkt aus sah ich einen Grizzly am Kadaver. Offensichtlich hielt er seinen Verdauungsschlaf, denn er lag mitten auf dem Hügel von Gras und Dreck, den er über der Beute angehäuft hatte, alle viere von sich gestreckt. Die fünf Wölfe hatten sich in der Nähe niedergelassen und schliefen ebenfalls zusammengerollt. Auf den Bäumen saßen einige Weißkopfseeadler und äugten sehnsüchtig zum Futter. Sie alle warteten geduldig, bis der Bär irgendwann einmal den Kadaver freigeben würde.
     
    Geduld gehört nicht gerade zu meinen Stärken. Ich hätte gern alles sofort und gleich. In Yellowstone lernte ich, den Begriff Zeit neu zu definieren. Die Natur interessiert es nicht, wie eilig ich es habe. Sie hat ihre eigene Zeit. Und sie überrascht mich immer wieder.
    Yellowstones Old Faithful erteilte mir einmal eine Lektion in Sachen Geduld. Der berühmte Geysir verdankt seinen Namen seiner Zuverlässigkeit. Man kann die Uhr nach seinen Ausbruchsintervallen stellen. Alle sechzig bis siebzig Minuten spuckt er eine etwa vierzig Meter hohe Fontäne aus heißem Wasser und Dampf in den Himmel. Wer den Zeitpunkt verpasst hat, schaut einfach im Visitor Center oder in der Lobby der Hotels nach, wann der voraussichtlich nächste Ausbruchstermin ist.
    Ich war wieder einmal mit einer Gruppe zur Wolfsbeobachtung im Park. Wenn im Mai die Straße zum Old Faithful vom Schnee befreit und für den Verkehr freigegeben ist, schiebe ich immer einen Besuch beim berühmtesten Geysir der Welt in unseren Zeitplan ein. So wie auch an diesem Tag. Wir wollten |163| den Ausbruch von Old Faithful erleben, gemeinsam zu Mittag essen und dann wieder zurück ins Lamar Valley, um die Wölfe zu beobachten. Mit deutscher Gründlichkeit und alter Reiseleiterroutine hatte ich alles genau geplant. Pünktlich saßen wir auf den Bänken vor dem Geysir, die Kameras im Anschlag. Dicke Wolken Wasserdampf quollen aus der Öffnung, Zeichen für einen bevorstehenden Ausbruch. Sie nahmen zu. Die ersten Spritzer heißen Wassers schossen hervor. Kameras begannen zu klicken. Dann … nichts! Das Wasser fiel zurück ins Loch. Keine spektakuläre Fontäne. Absolut

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