Wolfskuss - Handeland, L: Wolfskuss
Besten“, murmelte Mandenauer mit beruhigender Stimme, während er näher an sie herantrat. „Was kann es schaden?“
Mel hatte das Interesse an dem Gespräch verloren. Seine Augen waren halb geschlossen. Er lehnte sich so schwer gegen Cherry, dass sie in die Armlehne des Sofas gedrückt wurde. Das ferne Heulen einer Sirene verriet mir, dass Brad meiner Anweisung nachgekommen war.
„Ich schätze, das stimmt“, sagte Cherry ruhig. „Eine kleine Impfung kann unserem guten, alten Mel hier nicht schaden.“
„Genau.“ Ich kniete mich vor den Mann. „Ich muss ihm rasch noch ein paar kurze Fragen stellen.“
„Jessie, wir müssen los“, drängte Mandenauer.
„Gleich.“
Ich durfte nicht weggehen, bevor ich das Opfer befragt hatte. Nach allem, was beim letzten Mal passiert war.
„Jetzt“, sagte er barsch. „Das Tier flüchtet immer tiefer in den Wald hinein.“
IchwarfihmüberdieSchultereinenBlickzu.„WasfüreineArtvonWolfsjägersindSie,wennSieesnichtaufspürenkönnen?“
„Es ist besser, wenn wir sofort aufbrechen.“
Ich seufzte. Während unserer Diskussion war Mel an der Schulter seiner Frau eingeschlafen. Dem Blick nach zu urteilen, mit dem Cherry mich bedachte, hatte sie nicht vor, mich ihn wecken zu lassen. Ich stand auf.
„Na schön. Dann los.“
„Ich habe eine Erstbefragung durchgeführt.“ Brad stand in der Tür.
„Du hast was?“ Meine Stimme war trügerisch ruhig. In Wirklichkeit verspürte ich den Wunsch, meine Zähne in Brad zu vergraben, so wie der Wolf seine in Mel vergraben hatte. Brad war ein Sommer-Co p – Muskeln ohne Gehir n – , er war nicht darauf geschult, irgendetwas anderes zu tun, als dazustehen und Befehle entgegenzunehmen.
Brad errötete vom Kragen bis zum Haaransatz. Er räusperte sich, trat von einem Fuß auf den anderen, kramte seinen Notizblock aus der Hosentasche und warf ihn mir buchstäblich ins Gesicht.
„Er hat gesprochen, tatsächlich sogar getobt, also habe ich mitgeschrieben, ihn ein paar Sachen gefragt.“
„Du solltest den Tatort sichern. Das war alles.“
„Also hätte ich die Aussage des Opfers ignorieren sollen? So dumm bin ich auch wieder nicht.“
Manchmal hatte ich da so meine Zweifel. Aber in diesem Fall hatte Brad vermutlich das Richtige getan. Zumindest hoffte ich das. Vorausgesetzt seine Notizen waren kein ausgemachter Blödsinn.
„Haben Sie irgendwas davon mitbekommen?“, fragte ich Cherry.
„Sie ist nach mir eingetroffen“, erklärte Brad.
Cherry nickte achselzuckend.
„Jessie.“
Mandenauer stand am Fenster. Etwas in seiner Stimme veranlasste mich, neben ihn zu treten. Dort, hinter der Menge, die noch immer in unsere Richtung spähte, stand der große, schwarze Wolf. Ich hätte schwören können, dass er mir direkt in die Augen starrte, und während er das tat, bewegte sich das Totem, das ich völlig vergessen hatte, zwischen meinen Brüsten. Ich keuchte.
Das Geräusch schien den Bann zu brechen. Vor unseren Augen verschmolz der Wolf mit den Bäumen.
„Haben Sie das gesehen?“, fragte Mandenauer.
Aber ich war schon auf dem Weg zur Eingangstür.
Beim Verlassen des Hauses stießen wir fast mit den Sanitätern zusammen. Ich blieb stehen, um ihnen zu sagen, was geschehen war und was nun geschehen musste. Mit Betonung auf dem letzten Wort.
„Der Typ braucht diesen Impfstoff“, sagte ich nachdrücklich. „Stellt sicher, dass er nicht ohne ihn nach Hause fährt.“
Sienickten,aberichhattemeineZweifel.Soweitichwusste,wardiesnochimmerAmerika,undMelmusstedieImpfungnicht akzeptieren, wenn er nicht wollte. Ich hoffte nur, dass Cherry bei ihm genauso zickig sein würde wie bei mir. Mein Gefühl sagte mir, dass sie es sein würde.
Mandenauer und ich holten unsere Gewehre. Er musterte die Menge, dann deutete er mit dem Kinn zur Rückseite des Hauses. „Wir nehmen den langen Weg.“ Er starrte stirnrunzelnd auf mein Gewehr. „Was ist das?“
„Eine Winchester.“
„Wo ist das Gewehr, das ich Ihnen mitgebracht habe?“
„In meiner Wohnung. Ich bevorzuge meine eigene Waffe. Letzte Nacht habe ich den Wolf verfehlt. Mit dem hier wird mir das nicht passieren.“ Ich hielt mein Gewehr hoch.
Er sah mich einen Moment lang nachdenklich an, dann schüttelte er den Kopf. „Ganz wie Sie meinen.“ Er setzte seinen Weg um das Haus herum fort.
Der Wald reichte hier bis zum Hintergarten. Der fehlende Mondschein und das dichte Blätterdach der Bäume bewirkten eine fast vollständige
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