Wolfskuss - Handeland, L: Wolfskuss
fühlte ich alle diese Dinge, und dazu noc h …
Hinter mir brach ein Zweig. Ich wirbelte herum. Da war nichts. Zumindest nichts, das ich sehen konnte.
„Du wirst nicht verfolgt .“
Ich hatte gehofft, dass mich der Klang meiner Stimme beruhigen würde. Stattdessen war sie so laut wie ein Gewehrschuss und bewirkte nichts anderes, als dass mein Herz noch schneller klopfte. Jetzt fing ich schon an, Selbstgespräche zu führen. Konnte der völlige Wahnsinn da noch weit entfernt sein? Als Nächstes würde ich wahrscheinlich dazu übergehen, an Cadottes Werwölfe zu glauben.
Wieder ein Knacken .
Ich musterte meine Umgebung. Zwischen zwei Bäumen entdeckte ich einen Schatte n – mehr von der Größe eines Menschen als eines Wolfs. Ich schüttelte den Kopf. Schloss die Augen, öffnete sie wieder. Da war nichts.
Offenbar ging gerade meine Fantasie mit mir durch. Ich umklammerte mein Gewehr fester, dann folgte ich weiter dem Pfad.
Aber die Gedanken an Cadotte ließen sich nicht einfach so verdrängen. Er stahl sich in meinen Geist, obwohl ich versuchte, ihn wieder rauszuscheuchen. Wann würde ich ihn wiedersehen? Was würde geschehen, wenn es so weit war?
Ich schnaubte innerlich. Ich kannte die Antwort auf die zweite Frage, wenn auch nicht auf die erste. Wir würden im Bett landen, und das eher früher als später.
Wieder bemerkte ich aus den Augenwinkeln einen zuckenden Schatten. Ich richtete das Licht auf die Büsche und sah ein Opossum vor der plötzlichen Helligkeit flüchten.
Wind kam auf und brachte die Bäume zum Flüstern. Kein Wunder, dass ich Schatten sah. Der Wald war voll von ihnen.
Dann roch ich ih n – diesen Duft, der mir in den letzten paar Tagen so vertraut geworden war. Nach Blättern, Wind, Wildheit. „Will?“
Die Nacht trug meine Stimme davon. Aus der Ferne erklang das Heulen eines Wolfs. Mir stellten sich die Nackenhaare auf, und ich fröstelte, obwohl es über zwanzig Grad war.
Von link s – wo Mandenauer jetzt sein musst e – antwortete ein zweiter Wolf dem ersten.
Ich weiß nicht, warum ich anfing zu rennen. Ich weiß nur noch, dass ich, als der Gewehrschuss die traurige Serenade beendete, stolperte und auf die Knie fiel. Gott sei Dank verfügten Schusswaffen über eine Sicherung. Ich hätte mir durch meine Unachtsamkeit den Kopf wegschießen können. Allerdings prallte ich mit dem Knie auf einem Stein, sodass ich mich auf dem Pfad vor Schmerzen krümmte und dabei ausgiebig fluchte.
Wäre wirklich ein Wolf hinter mir her gewesen, hätte er jetzt die perfekte Gelegenheit gehabt, mich zu erledigen. Trotzdem blieb ich liegen, bis der Schmerz so weit nachließ, dass ich wieder Luft bekam. Dann stand ich auf und ging in die Richtung, aus der der Schuss gekommen war.
19
Ich roch das Feuer, noch bevor ich die Flammen sah. Während ich mit meinem wunden Knie weitergehumpelt war, hatte ich verdrängt, dass da zwei Wölfe, aber nur ein Gewehrschuss gewesen waren. Ich hatte eine Menge verdrängt, meine plötzliche Nervosität im Wald eingeschlossen.
Wie eine Kuh brach ich durch das Unterholz. Domestizierte Tiere machen sich nur selten die Mühe, sich leise zu bewegen. Warum sollten sie auch. Ich bin mir sicher, Mandenauer hörte mich schon lange kommen, bevor ich ihn erreichte.
Mein Pfad kreuzte einen anderen. Ich blieb stehen, sah erst in die eine Richtung, dann in die andere. Die beiden Pfade liefen hier zusammen. Mandenauer und ich hätten uns irgendwann getroffen. Genau wie die Wölfe es getan hatten.
Vor mir erhellten orangefarbene Flammen die Nacht. Da es erst Juni und damit noch nicht die Zeit für Waldbrände war, geriet ich zwar nicht in Panik, humpelte aber trotzdem ein wenig schneller.
Ichhättewissenmüssen,dassMandenauerinderLagewar,einLagerfeuerzuentfachen,dasnichtgleichaufdenganzenWaldübergreifenwürde.DerGeruchvonversengtemFellundFleischtrafmichwieeinKeulenhieb,kaumdassichaufdieLichtung trat. Wer das jemals gerochen hat, versteht, warum ich würgte.
„Was zur Hölle tun Sie da?“, schrie ich, sobald ich wieder Luft bekam.
Statt mich anzusehen, starrte er einfach weiter wie hypnotisiert in die Flammen. Aber zumindest hatte er die Feuerstelle mit Steinen gesäumt und sie so weit entfernt von den Bäumen errichtet, wie es mitten in einem verdammten Wald möglich war.
Ich humpelte zu ihm und versuchte es noch mal: „Haben Sie jetzt auch noch den letzten Funken Verstand verloren?“
Er lachte. Es klang eingerostet. Ich bin mir sicher, dass Mandenauer nicht oft
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