Wolfslegende
nun schon seit Jahrzehnten gelingt, den Wolf in sich zu geißeln, gelingt ihnen, was sie nicht mehr für möglich gehalten hätten: Zunächst überstehen sie die fluchbeladenen Mondnächte in meiner Obhut nur, indem ich sie zu ihrem eigenen Besten einschließe. Aber wenn sie dann keinem anderen Menschen in der Zeit ihres blutrünstigen Wahns ein Haar gekrümmt haben, hilft ihnen das, ihr Ich zu festigen und irgendwann, Monate, vielleicht erst Jahre später dem Vollmond auch in Freiheit zu entsagen.« Chiyoda lächelte Makoo-temane freundlich zu. »Bist du nicht meiner Meinung, daß jede Drangphase, die auf diese Weise übersprungen wird, die Opfer wert ist, die meine Schüler aus eigenem Willen erbringen? Sie retten die Leben derer, die sie anderenfalls nicht hätten schonen können.«
Makootemane senkte den Blick. »Ich wollte deine Leistungen nicht in Frage stellen. Aber ich leide mit Wyando, der mir wie ein wahrhaftiger Sohn ans Herz gewachsen ist. Und ich wünschte, er würde auch seinen Drang dauerhaft zu bezähmen - ohne Lilith Eden.«
Als die Halbvampirin vor Monaten Wyando - oder Hidden Moon, wie sein »zivilisierter« Name lautete - begegnet und unter dem Einfluß der Seuche dessen Seelenadler getötet hatte, war die Kraft auf sie übergegangen, das Böse von ihm zu nehmen.
»Er wird es lernen müssen, denn ich glaube nicht, daß sie ihm je wieder abnehmen wird, was er sich an dunkler Energie auflädt«, entgegnete Chiyoda.
»Warum nicht? Ist sie ... ?«
Chiyoda schüttelte den Kopf. »Nein, sie ist nicht tot. Sie wird noch lange leben. Auf jeder Ebene, in die ich schaue, ist Lilith Eden präsent. Aber sie hat sich verändert. Das Band zwischen ihr und Wyan-do ist seit der letzten Begegnung zerschnitten. Für immer. Nicht nur seine Alpträume sind in sie gefahren, sondern noch etwas anderes, das nun untrennbar mit ihr verschmolzen ist wie eine zweite . wie eine zweite Seele.«
Makootemane blickte fragend.
»Erwarte nicht Antworten auf alle Fragen von mir«, wies Chiyoda ihn, immer noch freundlich, ab. »Ich bereue bereits, Nona von dem berichtet zu haben, was ich zu erkennen glaubte.«
»Du redest von der Vision, die du die Hohe Zeit genannt hast?«
Chiyoda schüttelte den Kopf. »Ich rede vom Ende des Kelchhüters, den sie seit Jahrhunderten verehrt. Daß Landru in Jerusalem umkommen könnte. Es schien so klar, Nona dorthin zu schicken, mit deiner und Esben Storms Hilfe; schließlich müssen wir Landru als Verbündeten gegen Anum gewinnen. Aber nun ...« Chiyodas Miene wurde steinern.
»Was ist?« drängte der Arapaho.
Schulterzuckend wandte sich Chiyoda wieder dem Fenster zu. Als könnten die Blumen draußen seine Selbstzweifel zerstreuen.
Sie konnten es nicht. Er sah sie gar nicht, denn sein Blick blieb nach innen gerichtet.
»Ich bin mir nicht mehr sicher. Vorhin, als ich erneut nach Landru Ausschau hielt, hatte ich das Gefühl, ihn zweimal zu spüren ... Doppelt ... «
»Was bedeutet das?«
»Ich wünschte, ich wüßte es.«
Makootemane schwieg nachdenklich. Dann sagte er: »Ich halte es immer noch für ein gewagtes Experiment, die Rettung eines Wesens, das soviel Unheil über Generationen von Menschen gebracht hat, überhaupt zu unterstützen. Was das angeht, bleiben mir deine Beweggründe kaum nachvollziehbar.«
Chiyodas Miene lockerte sich auf. »Wie sollte einer, der selbst Bosheit, Niedertracht und unmenschliche Gier in sich trägt, sie nur beherrscht, andere mit derselben Natur verdammen? Und ist es bei dir nicht ähnlich? Du hast das Böse nicht aus dir verbannt, du hast damit umzugehen gelernt. Wyando kann dich ebenso zum Vorbild nehmen wie mich.«
Makootemane trat neben Chiyoda ans Fenster. »Manchmal frage ich mich, ob ich dort in der Höhle im Heiligen Berg, im Kampf gegen den Purpurdrachen, nicht doch gestorben bin. Ob ich all das, was danach gekommen ist - auch dich - nicht nur geträumt habe. Vielleicht ist der Tod nichts anderes als ein ewiger Traum .«
»Ein Traum mag vieles sein«, widersprach Chiyoda, »aber nicht der Tod. Im Traum liegt die Kraft, die Welt aus den Angeln zu heben.«
Makootemane hob abwehrend die Hand. »Lassen wir das. Ich komme mir jedenfalls wie jemand vor, der ein Radio benutzt, ob -wohl er niemals in der Lage wäre, eines zu bauen. Ich durchwandere unglaubliche Welten mit dir. Aber ich weiß nicht, wie ich das tue. Und ob ich es auch ohne deine führende Hand könnte.«
»Eines Tages wirst du es versuchen - und schaffen.«
»So spricht ein
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