Wolfsliebe - Tochter der Wildnis
lauschte der Stimme des Waldes. Lächelnd blickte sie zu Koon hinab, der sie fragend ansah.
»Weißt du …«, sagte sie mit leiser Stimme und richtete ihren Blick gen Himmel, »wenn man ganz still ist, die Augen schließt und sich ganz auf seine inneren Sinne verlässt, dann hört man den Wind von den unendlichen Weiten der Welt erzählen.«
Sie schloss ihre Augen erneut und fing an zu tanzen. Rhythmisch bewegte sie ihren Körper zur Melodie des Windes und wirbelte elegant und anmutig über den großen Hügel. Sie vergaß alles um sich herum, ihre Sorgen vor dem, was vor ihr lag, ihren Kummer über das, was hinter ihr lag. Ihr Gesicht hatte einen zutiefst ruhigen Ausdruck angenommen. Tikia wusste, dass mit jedem Schritt, den sie tat, mit jeder Umdrehung, die sie vollzog, ihre Sorgen, ihre Angst und ihr Kummer immer mehr verschwinden und dem Platz machen würden, was sie nun benötigte: Mut!
Als der Wind sich legte, sank Tikia erschöpft, doch glücklich auf die Knie und zog Koon zu sich heran.
Koon hatte die ganze Zeit, in der Tikia sich ihren Gefühlen im Tanz hingegeben hatte, still und ruhig im Gras gelegen und geduldig gewartet, als wäre ihm klar gewesen, wie wichtig dies für Tikia war. Sanft stupste er sie an und sah sie mit wissenden Augen an.
»Ich weiß …«, flüsterte Tikia lächelnd. »Du bist immer an meiner Seite und wirst mich niemals alleine lassen, nichtwahr?«
Koon leckte behutsam ihr Gesicht und schmiegte seinen Kopf an Tikias zarten Körper. Glücklich strich Tikia ihm über sein zotteliges Fell, bevor sie ihren Blick in die Richtung wandte, in der sich ihre zukünftige Heimat befand.
»Es ist nur …«, flüsterte sie, »… ich habe Angst vor dem, was kommen wird. Ich kenne das Leben in der Stadt nur aus den Erzählungen meines Großvaters. Und er selbst war damals schon seit über zehn Jahren nicht mehr dort gewesen. Was, wenn ich nicht erwünscht bin oder ihr Leben sich so sehr von meinem bisherigen unterscheidet, dass ich mich von alldem trennen müsste, was ich liebe und schätze …?«
Bittere Tränen stiegen ihr in die Augen, doch plötzlich gab Koon ein Knurren von sich, während er sich erhob und Tikia kurzerhand den Rücken zukehrte. Unschlüssig schaute Tikia zu ihrem Freund und versuchte ihn wieder zu sich zu locken. Als er nicht auf ihr Rufen reagierte, schüttelte sie den Kopf und versank wieder in ihren Gedanken.
»Was, wenn ich mich von alldem trennen müsste, was ich liebe und schätze …«
»Koon …«, flüsterte sie leise und verstand, was Koon auf dem Herzen lag.
Langsam erhob sie sich und sagte mit sicherer Stimme: »Doch spätestens, wenn sie dich von mir trennen wollen, mach ich ’nen Abgang!« Verschmitzt sah sie zu Koon, der sich ihr wieder zugewandt hatte. »Na los, Kumpel! Gehen wir!«, rief Tikia übermütig und rannte den Hügel hinab, und mit einem freudigen Aufjaulen folgte ihr Koon.
KAPITEL 9
Auf zur Stadt!
Gemächlich schlenderte Tikia einige Meter hinter Koon den langen Pfad entlang, der sie noch am selben Tag in ein neues, aufregendes Leben führen sollte. Immer wieder hielt sie an, roch an einer Tanne, hielt inne, um den Gesängen der Vögel zu lauschen oder einfach nur zuzuhören, wie der Wind stürmisch durch die Bäume rauschte.
Koon trabte gemütlich vor ihr her. Ihm war längst klar, dass Tikia nur trödelte, um den Zeitpunkt ihrer Ankunft in der Stadt so lange wie irgend möglich hinauszuzögern.
»Koon!«, rief Tikia, »Sollen wir eine Pause einlegen?« Sie gähnte theatralisch. »Ich bin schon ganz müde! Was denkst du, Koon?«
Entnervt drehte Koon sich zu ihr um und bedachte sie mit einem mürrischen Blick. Ein dunkles Knurren drang aus seiner Kehle, dann drehte er sich erneut um und lief einfach weiter.
Verdutzt sah Tikia ihm nach und hastete ihm dann eiligst hinterher. Als sie ihn endlich eingeholt hatte, verschränkte sie schmollend die Arme vor ihrer Brust und versuchte angestrengt mit Koon Schritt zu halten, der schnell und zielstrebig vor ihr lief.
»Also wirklich«, sagte sie keuchend, »musst du deine Launen immer an mir auslassen?«
Koon bedachte Tikia erneut mit demselben mürrischen Blick und einem verächtlichen Schnauben.
»Glaub bloß nicht, ich hätte Angst, in die Stadt zu gehen!«
Sie lief nun auch, allerdings gelang es ihr nur für einen kurzen Augenblick, mit Koon Schritt zu halten.
Koon beachtete sie nun nicht mehr. Unermüdlich lief er immer schneller weiter. Seine Läufe berührten kaum noch den Boden.
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