Wolfslied Roman
Klamotten passt.«
»Sei doch nicht lächerlich, Abra. Du könntest ein wenig Schmuck ganz gut gebrauchen. Und wann lässt du dir eigentlich endlich deine Augen lasern? Niemand trägt heutzutage noch eine Brille.«
Sie schloss meine Finger um die schwere Kette, die sich eher wie etwas anfühlte, das man zur Verwahrung von Gefangenen benutzt.
»Ehrlich gesagt, ich bevorzuge feineren Schmuck«, erwiderte ich missmutig.
»Du würdest es bevorzugen, am besten unsichtbar zu werden. Vergiss den Stil, Abra. Die Mutter deines Vaters hat mir diese Kette geschenkt. Sie nannte den Stein ›Las Lagrimas de la Luna‹, Tränen des Mondes.«
Ich betrachtete ihn eingehender. Für mich sah er eher wie Samenflüssigkeit aus, was ich allerdings nicht sagte. »Ich finde, du solltest ihn behalten, Mom.«
»Nein.« Sie schob meine Hand fort. »Deiner Großmutter zufolge kann dieser Mondstein die Intuition einer Frau steigern. Er kann dir wahre Träume bescheren. Und er kann deinen Monatszyklus regulieren.«
»Dann hättest du ihn mir schon vor fünfzehn Jahren geben müssen.«
»Abuela meinte damals, dass er noch zu stark für dich wäre.« Meine Mutter nahm mir die Kette wieder ab und legte sie mir dann um den Hals. »Wenn du deine Gedanken und Gefühle nicht ständig unterdrücken würdest, käme der Wolf in dir vielleicht gar nicht auf die Idee, entkommen zu wollen.«
Empört stemmte ich die Arme in die Hüften. »Irgendwie gelingt es dir doch immer, alles auf meine angebliche Gehemmtheit zurückzuführen. Wenn ich in meiner Kindheit vielleicht weniger hemmungslos erzogen worden wäre …«
Ich brach ab, da ich einer Erinnerung gefährlich nahe kam, an die ich eigentlich nicht mehr denken wollte.
Meine Mutter winkte mit beiden Händen ab, wodurch
sich ihre Armbänder ineinander verwickelten. »Abra, du weißt, wie wahnsinnig leid mir das tut, was in jener Nacht passiert ist. Und wenn es wirklich dieser unglückliche Vorfall war, der sich von deiner Intuition abgekoppelt hat, dann tut mir das doppelt leid.«
»Ich will nicht darüber reden.« Ich gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Dann gingen wir gemeinsam nach draußen, wo ich in meinen Wagen stieg und davonfuhr.
Als ich die Taconic Mountains erreichte, begann es leicht zu schneien. Doch erst nachdem ich auf eine Nebenstraße in der Nähe unserer Hütte abgebogen war, entwickelte sich der Schnee zu einem Problem.
Hier schneite es stärker, und als ich das Fernlicht einschaltete, blendete mich das seltsam grelle, wirbelnde Muster aus Schneeflocken vor meinen Augen. Ich schaltete das Licht also wieder herunter und kroch die tief verschneite Straße entlang, wobei ich versuchte, dem Ganzen auch etwas Positives abzugewinnen. Zumindest waren die Hirsche momentan nicht in ihrer Brunftzeit, so dass ich mir keine Sorgen machen musste, plötzlich ein tollkühnes Huftier vor die Räder zu bekommen, das vor lauter Hormonüberproduktion seine übliche Vorsicht in den Wind schlug.
Ich schaltete das Radio ein und stieß erneut auf Faith Hill. Diesmal prahlte sie mit der fantastischen Technik ihres Mannes im Bett - und dass ihr Ruhm sie kein bisschen verändert hätte. Bestimmte Dinge sollten einfach verboten …
Aus dem Augenwinkel sah ich etwas Braunes vorbeischießen. Hastig trat ich auf die Bremse. Ein lauter Knall folgte, dann der Geruch von Schießpulver und schließlich ein dumpfer Schlag. Danach war es totenstill.
11
Ich kam zu mir und leckte mich instinktiv. Dann spitzte ich verunsichert die Ohren. Irgendetwas schnaubte in meiner Nähe, verzweifelt und atemlos. Ich sammelte mich, spannte die Muskeln an und spürte, wie sich meine Nackenhaare in Alarmbereitschaft aufstellten. Einen Moment lang wusste ich glasklar: Ich bin ein Wolf. Doch dann merkte ich, dass das ganz so leider nicht stimmte. Ich befand mich vielmehr irgendwo zwischen Wolf und Frau, was ziemlich unangenehm und irgendwie sogar quälend war.
Also schloss ich erst einmal die Augen und atmete tief durch. Dann tastete ich mit ungeschickten Fingern mein Gesicht ab. Oder vielmehr tastete ich mit ungeschickten Pfoten meine Schnauze ab. Mir war schwindlig und mulmig. Mein Nasenknochen schmerzte, und an meinem Hals und der Brust entdeckte ich rote Striemen, die vermutlich vom Sicherheitsgurt stammten. Als ich versuchte, den Gurt zu lösen, weigerten sich meine Pfoten jedoch, mitzumachen.
Na toll .
An den Stellen, wo mich meine Kleidung einengte, war ich noch Mensch. Aber was half mir das in diesem
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