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Wolfslied Roman

Wolfslied Roman

Titel: Wolfslied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisa Sheckley
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zu formen. Ich hörte immer wieder ›W‹ und ein weiches ›Sch‹, gefolgt von einem gutturalen Laut. Das Ganze erinnerte mich an eine Indianersprache, wie ich sie einmal an der Uni gehört hatte.
    »Tut mir leid, ich verstehe Sie nicht«, sagte ich. »Aber ich bin Tierärztin. Ich kann Ihnen helfen und Sie verarzten.« Ich schluckte und wagte vorsichtig, einen Schritt näher zu kommen.
    »Mir’elfen? Du hast mich gerade umgefahren, Frau!« Seine Stimme klang tief und hatte jetzt einen französischkanadischen Akzent, der gut zu ihm passte. Er wirkte wie das Klischee eines Holzfällers, der direkt aus der Hölle zu kommen schien. Hollywood hätte es garantiert auch nicht besser hinbekommen.
    »Das wollte ich nicht«, stammelte ich. »Ich hab Sie nicht gesehen … In meiner Tasche habe ich Verbandszeug.« Ich kniff die Augen zusammen, um die Miene des Mannes besser ausmachen zu können. Es sah so aus, als starre er
mich an, während er über meine Worte nachdachte und versuchte, einen Sinn darin zu erkennen.
    Dann schnaubte er. »Du willst mir’elfen, chérie? Dann komm und kümmere dich um meine Verletzung.« Sein Akzent war stärker geworden. Er lächelte und zeigte dabei ebenmäßig weiße Zähne. Sein Anblick erinnerte mich an den Football-Spieler, der mich eines Tages nach dem Collegeball nach Hause begleitet und sich dann ohne Vorwarnung auf mich gestürzt hatte, um - wie er das nannte - zu spielen.
    »Ich werde Sie nur untersuchen. Okay?«
    Betont langsam griff ich in meine Tasche und umfasste die Injektionsspritze, während ich mich ihm näherte. Als ich mich etwa einen halben Meter von ihm entfernt befand, roch ich den starken Tiergeruch, den er verströmte. Außerdem sah ich, dass seine Haut schweißüberströmt war. Die Nasenflügel bebten, als würde auch er meinen Geruch erschnüffeln.
    Auf einmal änderte sich der Ausdruck in seinen Augen. Ich kannte diesen Blick. Es war der Blick, mit dem mich meine tierischen Patienten stets bedachten, kurz bevor sie mich angriffen.
    Ich riss die Hand aus der Tasche und versuchte ihm die Spritze ins Fleisch zu jagen, noch ehe er mich am Handgelenk packte.
    Doch er war schneller.
    »Was ist das?« Er schüttelte an meinem Handgelenk, und ich schrie auf. »Das nennst du’ilfe?«
    »Das ist nur ein Beruhigungsmittel, damit Sie sich besser fühlen, wenn ich Sie untersuche«, erklärte ich mit klappernden Zähnen. Hätte ich doch nur Telazol dabei gehabt!
Damit hätte ich ihn völlig außer Gefecht setzen können. Von jetzt an - falls es überhaupt noch ein ›von jetzt an‹ gab - nahm ich mir vor, immer Telazol mitzunehmen …
    Und einen Elektroschocker …
    Und Tränengas …
    »Bitte, lassen Sie mich los.«
    »Aber du’ast mich angegriffen«, antwortete der Kerl. »Du’ast mich herausgefordert.« Genüsslich, als handele es sich um einen netten Zeitvertreib, zermalmte er die Knochen meines Handgelenks zwischen seinen Fingern.
    »Ich wollte Sie nicht angreifen. Es war mein Auto … ich konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen.«
    Sein Gesicht näherte sich bedrohlich dem meinen. Aus der Nähe sah ich, dass seine Pupillen so dunkelblau waren, dass sie beinahe schwarz wirkten, und dass seine Haut keine sichtbaren Poren besaß. Stattdessen schien etwas darunter zu glitzern, als läge unter der ersten Schicht ein feiner Goldstaub. Sein Atem stank nach rohem Fleisch und Beeren.
    »Frau, wenn meine Klauen deinen Bauch aufschlitzen, bin ich dann verantwortlich?«
    Ich starrte auf seine Hand und bemerkte erst jetzt die langen schwarzen Klauen an den Kuppen seiner stumpf wirkenden Finger.
    »Wenn dein Auto mich über den’aufen fährt, wer ist dann verantwortlich?«
    Ich wusste, dass ich diesem Argument leicht hätte widersprechen können, doch irgendwie fand ich nicht die richtigen Worte, um mich zu verteidigen. Stattdessen fühlte ich mich plötzlich unendlich müde, wie ich das oft tat, wenn ich keine Brille trug. Es fiel mir schwerer, einen klaren Kopf
zu bewahren, wenn meine Sehkraft schwach war und alles verschwommen wirkte.
    Der Mann hielt inne und blickte mir in die Augen. Was auch immer er dort sah - er musste es als Erlaubnis verstehen, denn er öffnete den Mund und entblößte seine riesigen Reißzähne.
    »Nein!«
    Ich kniff die Augen zusammen und versuchte mich zu verwandeln. Bisher hatte ich das erst einmal probiert. Ich wusste, dass es darum ging, sich ganz und gar leiten zu lassen - so als müsste man zwei Melodien zu einer einzigen zusammenführen. Die eine

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