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Wolfslied Roman

Wolfslied Roman

Titel: Wolfslied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisa Sheckley
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ist.«
    »Weil Hunter entsetzlich narzisstisch ist. Ich habe schon Ansagen auf Anrufbeantwortern erlebt, die einfühlsamer
waren als dieser Mann! Soweit ich das beurteilen kann, hast du ihn vor allem deshalb so anziehend gefunden, weil er dir erlaubt hat, die Rolle der lieben, praktischen, leidensfähigen Frau wie aus einem Austen-Roman zu spielen. Ein Teil des Problems mit Red besteht sicher darin, dass er sich nicht nach diesem Schema verhält. Er scheint eher den Hinterwäldler à la Mark Twain abzugeben, was dich vor gewisse Schwierigkeiten stellt. Welche Rolle sollst du jetzt übernehmen? Bist du das schnippische Mädchen aus der Stadt, das Gegenstück zu seinem lässigen Holzfällertypen? Oder bist du die kleine Frau an seiner Seite, die ihn bedenkenlos in allem unterstützt, was er so tut?«
    Ich zog meine Hand zurück. »Mom, ich wähle keine Rolle aus. Es geht hier um mein Leben.«
    »Liebling, wir wählen ständig Rollen. Ich glaube, sobald du wirklich weißt, was du willst, und dein Leben in die Hand nimmst, wirst du auch schwanger werden. Wenn es tatsächlich das ist, was du willst.«
    Ich wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit meiner Mutter über solche Dinge zu diskutieren. Sie glaubte, dass Meditation, eine positive Einstellung zum Leben und regelmäßiges Entgiften fast alle medizinischen und psychischen Probleme lösen konnten.
    »Okay, kommen wir nicht vom Thema ab«, sagte ich. »Vergessen wir dieses ganze Bühne-des-Lebens-Zeugs und konzentrieren wir uns auf das Wesentliche. Du hast mich richtig durcheinandergebracht. Zuerst sagst du, ich könnte Red nicht trauen. Dann meinst du, ich wäre die Stärkere in unserer Beziehung und dass ich zu ihm nicht so nett wie zu Hunter wäre. Widerspricht sich das nicht?«
    Meine Mutter nahm ein weiteres Stück Toast von meinem
Teller und strich Erdbeermarmelade darauf. »Nein, das tut es nicht.« Sie biss ein Stück ab. »Welche Vorstellung macht dir mehr Angst?« An ihrem Mundwinkel klebte ein bisschen rote Marmelade, was auf den ersten Blick wie ein Tröpfchen Blut aussah.
    »Okay«, erwiderte ich, reichte ihr eine Serviette und zeigte auf die linke Seite ihres Mundes. »Was meinst du also, was ich tun sollte?«
    »Das musst du selbst herausfinden.«
    »Soll das ein Witz sein? Du gibst mir doch ununterbrochen Ratschläge, auch wenn ich die gar nicht hören will. Was ich anziehen soll. Wo ich am besten shoppen gehe. Wie ich mehr Freunde finde. Und jetzt frage ich einmal tatsächlich nach deiner Meinung und möchte, dass du mir hilfst, und du erklärst mir, dass ich das selbst herausfinden muss?« Ich schlug die Beine übereinander und verschränkte die Arme. »Das ist doch mal wieder typisch.«
    »Ich werde nicht immer für dich da sein können, Abra, mein Schatz.«
    »O Gott, bitte jetzt bloß nicht wieder diese Wir-sind-allesterblich-Rede!«
    »Ich weiß, dass du das nicht hören willst, aber es ist leider wahr.«
    »Warum musst du es aber immer so dramatisch machen?« Mir kam auf einmal ein schrecklicher Gedanke. »Du willst mir damit doch nicht andeuten, dass du Krebs oder so was hast? Das wäre nämlich wirklich die mieseste Art, so was zu erzählen, die ich mir vorstellen kann.«
    Meine Mutter seufzte. »Nein, ich will dir damit nicht andeuten, dass ich Krebs habe.«
    »Dann hör auch mit diesem Gerede auf. Du weißt, wie
sehr ich das hasse … He, wohin willst du jetzt auf einmal?« Meine Mutter hatte ihren Stuhl zurückgeschoben und war aufgestanden. Sie presste die Hand vor ihren Mund. »Dir ist doch nicht schlecht - oder?«
    »Nein, nein. Mir ist nur etwas zwischen den Zähnen stecken geblieben.«
    Ich klopfte ungeduldig mit den Fingerspitzen auf den Tisch, während ich auf sie wartete. Verschwieg mir meine Mutter vielleicht auch etwas? Nein, das konnte ich mir eigentlich nicht vorstellen. Sie war schließlich die Frau, die mich bereits als Kind mit deprimierenden Schlafliedern terrorisiert hatte. Das schlimmste Lied war eine Variante des berühmten Wiegenlieds ›Hush, little baby‹ gewesen, in der es hieß: ›Mein Kleines, sei jetzt still, du weißt, deine Mutter bald sterben will.‹ Falls ich jemals Kinder haben sollte, würde ich ihnen jedenfalls bestimmt nichts von einer Wiege vorsingen, die im Sturm vom Baum fällt …
    Meine Mutter kam mit frisch nachgezogenem Lippenstift an den Tisch zurück. »Weißt du«, sagte sie, als sie sich wieder hinsetzte. »Auf der Toilette ist mir gerade wieder eingefallen, wie unheimlich intuitiv du doch als

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