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Wolfslied Roman

Wolfslied Roman

Titel: Wolfslied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisa Sheckley
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Fall?
    Hände. Ich brauchte Hände .

    Plötzlich würde mir übel. Ich schluckte und würgte, als ich den Geschmack von Eiern, Ziegenkäse und Spinat im Mund hatte. In meiner Tasche mussten noch Pfefferminzpastillen sein. Mein Mund schmeckte auf einmal wie nach saurem Fußkäse.
    Ich denke wieder wie ein Mensch .
    Mir wurde klar, dass das Auto gegen etwas geknallt sein musste. Auf meinem Schoß befand sich ein großer weißer Ballon, und in der Luft flogen Puderpartikel herum. Der Airbag war also aufgegangen. Ich berührte erneut meine schmerzende Nase. Jetzt waren es Finger, die ich benutzte, und es war auch keine Schnauze mehr in meinem Gesicht. Die Nase fühlte sich jedenfalls nicht so an, als wäre sie gebrochen, was mich ein wenig beruhigte.
    Wo war meine Brille? Ich lehnte mich etwas zur Seite und tastete danach, doch der Gurt behinderte mich in meinen Bemühungen.
    Okay, ein Schritt nach dem anderen. Ich löste den Sicherheitsgurt und rieb meinen wunden Hals. Die Haut fühlte sich heiß an, und als ich mich im Rückspiegel betrachtete, merkte ich auch, warum. Die Kette, die mir von meiner Mutter aufgedrängt worden war, hatte eine starke Rötung hinterlassen.
    Herzlichen Dank, Mom.
    Noch immer verwirrt, wie der Unfall hatte passieren können, versuchte ich den Verschluss der Kette zu öffnen. In diesem Augenblick hörte ich draußen erneut das Geräusch: keuchendes Atmen wie bei einem verletzten Tier. Jetzt suchte ich panisch nach meiner Brille, die ich schließlich auf dem Boden neben dem Sitz entdeckte. Leider war sie ganz zerbrochen, so dass sie nicht mehr zu gebrauchen war.

    Ich warf sie auf den Beifahrersitz, packte meine Tasche mit dem Stethoskop und der restlichen medizinischen Ausrüstung und öffnete vorsichtig die Wagentür, um in den kalten Januarabend hinauszutreten. Durch den steten Schneefall konnte ich im Licht der Scheinwerfer eine große dunkle Gestalt auf dem Boden erkennen.
    Für einen Augenblick blieb mir beinahe das Herz stehen. Ich befürchtete, einen riesigen Mann überfahren zu haben. Dann wurde mir aber klar, dass dieser Gigant kein Mensch sein konnte. Und in diesem Augenblick zuckte das Wesen und versuchte, sich aufzurichten. Was auch immer es sein mochte, ich hatte es wenigstens nicht getötet.
    Ängstlich wich ich zurück und beobachtete aus sicherer Entfernung, wie der riesige Körper vor Anstrengung zitterte, während er versuchte, sich in eine aufrechte Position zu bringen. Ich blinzelte, um schärfer sehen zu können. Das Wesen warf mir aus kleinen, finster funkelnden Augen einen Blick über die Schulter hinweg zu. Plötzlich wusste ich, was es war. Ein goldbrauner Bär, dessen lange Ohren und schmale Schnauze aber zugleich etwas Wölfisches an sich hatten. Sein gewaltiger haariger Körper wirkte täuschend schwerfällig. Eingehüllt in dicke Fettschichten konnte dieses Tier auch mit seinem Winterfett wesentlich schneller laufen, länger schwimmen und höher klettern als jeder Mensch.
    »Ruhig, mein Guter«, murmelte ich, als er erneut versuchte, sich aufzurichten. Er drückte den Rücken durch, um seine riesigen Pfoten unter dem Leib hervorzuziehen.
    Vielleicht sollte ich lieber wieder ins Auto zurück, dachte ich, zögerte aber. Noch wusste ich nicht, wie stark der Bär verletzt war.

    Endlich stand er auf seinen vier Pfoten und schnüffelte. Schneeflocken rieselten auf seinen Kopf und seine Schultern. Ich fragte mich, wieso er eigentlich nicht seinen Winterschlaf abhielt. Wenn er sich auf seine Hinterbeine erhoben hätte, wäre er vermutlich über zwei Meter groß gewesen. Und was sein Gewicht betraf, so nahm ich an, dass es in etwa dem von zwei Sumo-Ringern nach einem gewaltigen Sashimi-Gelage entsprach.
    Ich konnte nur hoffen, dass ich für den Bären nicht wie ein Leckerbissen vor dem Zubettgehen aussah. Meine Vernunft riet mir dringend, endlich in den Wagen zu steigen. Du bist jetzt kein Wolf, du bist ein halbblinder Mensch, und dieses Tier da könnte dich mit einem einzigen Tatzenhieb außer Gefecht setzen, warnte sie mich.
    Doch ohne Brille sah der Bär irgendwie verschwommen und wenig bedrohlich aus, weshalb ich wahrscheinlich fälschlich annahm, mich nicht in Gefahr zu befinden. Ich stand da und sah ihm zu, wie er sich mit einer Pfote über das Gesicht strich. Er hatte durch den Aufprall des Autos ein bisschen Schlagseite, so dass er sich der Länge nach hinlegte, als er sich wieder auf seine vier Pfoten stellen wollte - was zugegebenermaßen ziemlich niedlich

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