Wolfslied Roman
Kaffeetasse, und die Kellnerin eilte herbei, um sie aufzufüllen. »Ich glaube, du weichst der eigentlichen Frage aus, um die es hier geht. Und die lautet: Willst du mit Red eine Familie gründen? Willst du dich mit ihm niederlassen?«
»Ich dachte, du magst Red.«
»Er ist auch zu mögen, Abra. Aber intellektuell reicht er nicht an dich heran. Ich kann mir nicht vorstellen, wie ihr gemeinsam auf Reisen geht, Museen besucht oder Filme mit Untertiteln anseht. Er ist ein Junge vom Land. Provinziell. Wenn du jemanden brauchst, der einen verwundeten Hirsch von seinen Qualen erlöst, ohne dazu ein Gewehr zu benutzen, und ihn dann in seine Einzelteile zerlegt, so ist Red dein Mann. Er wird dich nie betrügen, denn er besitzt diese schlichte Vorstellung von Treue, wie man sie in Hunden und Kindern findet. Aber falls du mal mit einem anderen Mann vom Weg abkommst … Sieh mich nicht so an, sagen wir mal, du steigst nochmal um der alten Zeiten willen mit Hunter in die Kiste … Jedenfalls würde dir ein Mann wie Red das niemals verzeihen.
Ich will damit gar nicht sagen, dass er eine schlechte Wahl wäre, sondern nur, dass du wissen musst, worauf du dich mit ihm einlässt. Ist Red Mallin wirklich der Mann, mit dem du Kinder haben möchtest? Wenn du nicht den Lykanthropie-Virus erwischt hättest, wärst du dann jemals
auf die Idee gekommen, dich mit ihm einzulassen? Oder hättest du doch eher einen Mann wie diesen Malachy Knox gewählt?«
Sie hatte mit ihrem Monolog ein wenig zu genau ins Schwarze getroffen. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich empört zu wehren. »Okay, erstens ist es völlig absurd anzunehmen, dass ich noch einmal mit Hunter um der alten Zeiten willen in der Kiste landen könnte, wie du das so charmant formuliert hast. Zweitens …«
Ich brach ab, da die Kellnerin an unseren Tisch zurückgekehrt war und so langsam anfing, die Teller abzuräumen, dass es mir schon fast sadistisch vorkam. Dabei fragte sie uns mehrmals, ob wir noch etwas bestellen möchten. Etwas mehr Feingefühl sollte in deinem Beruf eigentlich schon drin sein, dachte ich gereizt. Laut sagte ich: »Wir melden uns, falls wir noch etwas wollen.«
Überrascht zog meine Mutter die Augenbrauen hoch. Normalerweise zeigte ich mich in ihrer Gegenwart nicht so selbstbewusst.
Als wir wieder allein waren, fuhr ich fort. »Deine Beschreibung von Red lässt ihn wie den typischen dumpfen Kerl vom Lande erscheinen. Wenn das zuträfe, wäre ich garantiert nicht mit ihm zusammen.«
»Schatz, ich will ihn nicht runtermachen.«
»Natürlich willst du das! Ich verstehe nur nicht, was du damit bezweckst. Willst du damit sagen, dass Hunter doch die bessere Wahl für mich wäre, weil er den New Yorker liest und Renaissancemusik schätzt? Du hast Hunter immer gehasst. Schon vergessen?«
»Abra.« Meine Mutter streckte den Arm aus und ergriff meine Hand. »Du triffst die Entscheidung, die du für die
richtige hältst, und ich werde dich darin unterstützen, ganz gleich, wie sie aussehen mag. Doch ich möchte, dass du dir gegenüber ehrlich bist. Red ist ein liebenswerter Mann, aber ich habe schon oft erlebt, dass Frauen Kompromisse eingehen, wenn sie sich in Männer verlieben, die ihnen eigentlich nicht das Wasser reichen können. Ja, du hast richtig gehört.« Sie hielt meine Hand noch fester. »Damit will ich sagen, dass Red dir nicht das Wasser reichen kann. Kulturell, beruflich und finanziell steht ihr einfach nicht auf derselben Stufe. Und wie du mir erzählt hast, gilt das offenbar auch für eure Wolfsgestalten. Du bist die Stärkere von euch beiden.«
Sie sah mich aufmerksam an, und ich erinnerte mich an die Geschichte, wie sie meinen Vater kennengelernt hatte. Meine Mutter galt damals bereits als eine Art Star, während mein Vater ein junger unbekannter Regisseur gewesen war, den man vielleicht in Barcelona, aber garantiert nicht in den USA gekannt hatte.
»Ich habe absolut nichts gegen ihn, wenn er tatsächlich der Mann ist, mit dem du zusammen sein willst. Aber ich möchte nicht, dass du deine Stärken verleugnest, nur um ihn nicht zu verletzen. Es gibt so viele Beispiele von Frauen, die sich selbst kleiner machen, nur um den Egos ihrer Männer zu schmeicheln. Ich fände es schrecklich, wenn das auch bei dir der Fall wäre, Schatz.«
»Ich glaube, du unterschätzt Red gewaltig, Mom. Er ist in mehr als einer Hinsicht ausgesprochen feinfühlig. Psychologisch ist er zum Beispiel sehr viel einfühlsamer, als das Hunter jemals gewesen
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