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Wolfslied Roman

Wolfslied Roman

Titel: Wolfslied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisa Sheckley
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mehr als nur einen Schluck brauchen.« Innerlich schüttelte es mich, wenn ich an all die flüchtigen, nicht wiederholbaren Gedanken dachte, die mir in Lillianas Gegenwart bestimmt schon durch den Kopf geschossen waren. Ganz gleich, wie sehr man jemanden mochte - es gab immer Dinge, die man dem anderen verschwieg oder anders erzählte, als es der Wahrheit entsprach.
    »Ich bin nicht telepathisch begabt«, erwiderte Lilliana, schenkte den Wein ein und reichte mir ein Glas.
    »Also nur sehr intuitiv?«, entgegnete ich grinsend. Sie schüttelte den Kopf, während ein Lächeln um ihre Lippen spielte.
    »Nein, zu den Intuitiven gehöre ich auch nicht, denn dann könnte ich die Zukunft voraussagen. Ich bin vielmehr eine sogenannte Sensitive.«
    »Inwieweit sensitiv?«
    Sie trank einen Schluck Wein, zögerte einen Moment und kippte dann das ganze Glas in einem Zug hinunter. »Wie viel weißt du über Persönlichkeitstests?«
    »Ich weiß, dass sie in der amerikanischen Geschäftswelt keine geringe Rolle spielen, und das Gleiche gilt vermutlich auch für Europa und Asien. Man macht einen Test, der zeigen soll, wie intro- oder extrovertiert man ist, ob man gut analysieren und ein sogenannter Teamplayer sein kann.«
    »Die meisten Firmen und Partnervermittlungen verwenden eine Version des Enneagramms, manche auch bestimmte Varianten. Zu einem Großteil arbeiten sie mit Selbstbeurteilungen und testen erst, wenn die Testpersonen erwachsen sind.« Lilliana streckte die Hand aus und nahm mir das Glas ab. Mit einem Satz leerte sie auch dieses. Dann
sah sie mich mit Tränen in den Augen an. »Hast du dir jemals überlegt, was passieren würde, wenn ein Expertenteam ein Kind testen und dann dessen Erziehung auf seine Stärken hin ausrichten würde?«
    »Nein, das habe ich nicht. Aber du wirst es mir sicher gleich sagen.« Ich machte den Kühlschrank auf und entdeckte eine weitere Flasche Wein. »Und die hier ist für mich. Einverstanden?«
    Lilliana spielte mit einem gedrehten Silberring, der an ihrem Finger steckte. Mir fielen die Silberkette und der Mondstein meiner Mutter wieder ein. Wenn ich ihn nur tragen könnte, ohne allergisch zu reagieren, dachte ich. Dann wäre ich auch in der Lage zu wissen, was die Leute um mich herum wirklich denken. Zumindest hatte ich die Kette in meiner Nähe; sie lag in ihrem kleinen Beutel in meiner Tasche.
    »Durch eine solche Methode könnte man erstaunlich talentierte Menschen heranzüchten«, sagte Lilliana. »Intuitiv oder kognitiv Veranlagte …« Sie brach ab und spielte wieder mit dem Ring, ehe sie mich ansah. »Und Sensitive.«
    Ich trank einen Schluck aus meinem Glas. »Ich verstehe noch immer nicht, worauf du hinauswillst, Lil. Keine Ahnung, ob es an den Hormonen liegt, aber das glaube ich eigentlich nicht. Du bist so angespannt, dass du dich nicht richtig verständlich machen kannst.«
    Für einen Augenblick schien sie überrascht zu sein. Dann wischte sie sich die Schweißperlen von der Oberlippe. Ich hatte sie noch nie zuvor schwitzen gesehen. »So«, sagte sie. »Jetzt verwende ich etwas weniger Energie auf das Aussenden, damit ich mich mehr auf das konzentrieren kann, was ich sage. Oder auch nicht sage.«

    Mir fiel ein, dass das Wort aussenden schon vorher gefallen war, als Lilliana mit der Fahrerin gesprochen hatte. Doch plötzlich fand ich es wieder deutlich schwerer, mich zu konzentrieren. Es kam mir so vor, als sei die Temperatur in der Limousine um mindestens zehn Grad gestiegen. Ich trank noch einen Schluck Wein. »Liegt das an mir, oder ist es plötzlich wahnsinnig heiß hier?«
    »Oh, lass mich das machen.« Lilliana schloss für einen Moment die Augen und öffnete sie dann wieder. »Ist es so besser?«
    Ich starrte sie an. Mir war nicht mehr heiß, auch wenn mir noch immer wärmer zumute war als noch vor wenigen Minuten. Meine Haut prickelte vor Anspannung. »Los, erklär mir jetzt, was es mit dir auf sich hat. Aber bitte in einfachen, verständlichen Sätzen.«
    Sie streckte die Hände nach den meinen aus und hielt sie fest. Sofort verschwand meine Anspannung - wie eine Blase, die in der Luft zerplatzt. »Ich bin das, was man empathisch nennen könnte«, sagte sie. »Allerdings kann ich Emotionen sowohl aussenden als auch empfangen. Momentan strahle ich zum Beispiel Ruhe aus, weshalb der Wein für mich wichtiger war als für dich.«
    »Du wusstest also deshalb von meiner Lykanthropie, weil du …«
    »Weil ich es fühlen konnte. Genau. Doch die Sache ist die, Abra: Ich

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