Wolfslied Roman
hier verschwindest, wirst du der Ehrengast bei einer Runde Rudelbumsen werden.«
»Hm«, erwiderte ich gedankenverloren, als der Fahrradfahrer seinem Gegner einen kräftigen Tritt in die Weichteile verpasste. Bestand Lilliana vielleicht nur deshalb so sehr darauf, dass wir verschwanden, weil sie zur Abwechslung einmal nicht das Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern das Mauerblümchen war? Ich wusste aus eigener Erfahrung, wie unangenehm es sein konnte, die Frau zu sein, die keiner der Männer so recht bemerkte …
»Verdammt«, sagte Lilliana. »Es scheint mir keine andere Wahl zu bleiben.« Sie legte ihre Hände an meine Wangen und drehte meinen Kopf so, dass ich sie ansehen musste. »Sieh mir in die Augen, Abra.«
Einen Moment lang dachte ich, sie würde mich küssen. Die Männer mussten einen ähnlichen Eindruck haben, denn sie begannen nun uns beide mit lüsternen Augen zu beobachten.
»Abra«, wiederholte Lilliana. »Konzentrier dich.« Und als würde sie mich innerlich festhalten, senkte ich den Blick und starrte in ihre dunklen Pupillen. »Wir müssen hier raus«, sagte sie, und auf einmal wusste ich, dass sie Recht hatte. Wenn ich nicht in ein paar Minuten von hier fort sein würde, stünde ich in großer Gefahr, etwas zu tun, das ich später vermutlich bitter bereuen würde.
»He«, sagte einer der Männer und versuchte Lilliana am
Arm zu packen, als sie mich in Richtung der Tür drängte. Ich zog die Oberlippe hoch und knurrte ihn an. Erschrocken ließ er sie los, so dass wir die Tür öffnen und auf die Straße verschwinden konnten.
Gerade als wir über die Schwelle traten, traf die Polizeistreife mit Blaulicht und Sirenengeheul ein.
»Kacke«, murmelte Lilliana, die zumindest in meiner Gegenwart noch nie zuvor ein solches Wort in den Mund genommen hatte. »Wie zum Teufel sollen wir dich jetzt nach Hause bringen? Wenn ich dich in den Zug setze, wird es dort vermutlich einen weiteren Aufstand geben.«
»Hör zu, Lilli«, begann ich. »Ich befürchte, ich habe dir vorhin nicht alles erzählt.« Wie zum Beispiel, dass ich momentan unter einer überdurchschnittlichen Pheromonausschüttung litt.
Aber Lilliana redete bereits in ihr Handy. »Martin? Gott sei Dank bist du da. Ich brauche deine Hilfe. Meine Freundin hat den Lykanthropie-Virus und ist zurzeit läufig … Ja … aha … Jedenfalls braucht sie ein Auto und einen Fahrer, der entweder männlich ist, dann aber weniger als zehn Prozent heterosexuell sein darf, oder weiblich und weniger als zehn Prozent homosexuell … genau … fantastisch. In einer halben Stunde oder auch schneller bei mir? Vielen Dank, Martin. Ich schulde dir was.«
Nachdem sie aufgelegt hatte, merkte sie, wie verblüfft ich sie anstarrte, und zuckte die Achseln. »Du meinst doch immer, ich müsse übernatürliche Kräfte haben, nicht wahr? Nun, da liegst du nicht ganz falsch. Ich werde es dir erklären, wenn wir erstmal außer Gefahr sind.«
Offenbar war ich nicht die Einzige, die ein paar wesentliche Details aus ihrem Leben weggelassen hatte.
15
Wir fuhren ein Wettrennen gegen den Mond, und es sah ganz so aus, als ob der Mond gewinnen würde. Ich blickte aus den getönten Scheiben der Stretchlimousine. Der Mond am Himmel stieg unaufhörlich immer höher. Zwar konnte ich nicht sehen, dass das Tageslicht schwächer wurde, aber dafür vermochte ich es als ein Ziehen und Zerren in meinem Inneren deutlich zu spüren.
»Wir hätten nicht anhalten sollen, um deine neue Brille abzuholen«, sagte Lilliana. Sie saß mir gegenüber und betrachtete mich besorgt.
»Aber sie war fertig«, widersprach ich. »Außerdem passt sie zu meinem neuen Outfit.«
Ich trug noch immer die Bluse und den Rock, die ich in dem Laden - Die sexy Bibliothekarin - anprobiert und, um ehrlich zu sein, dann einfach gestohlen hatte. Ich war also eine Diebin, was mir irgendwie aufregend und draufgängerisch vorkam. Ich war ein böses Mädchen. Wohlig streckte ich die Beine aus.
»Ich habe noch nie in einer Limousine gesessen. Toll ist das. He, vielleicht gibt es ja sogar Champagner!« Ich öffnete den Minikühlschrank und entdeckte eine kleine Flasche Chablis. »Na ja, besser als nichts.«
»Gib mir das!« Lilliana riss mir die Flasche aus der Hand. »Das Letzte, was wir jetzt brauchen können, ist eine enthemmende Substanz.«
»Ich will mich doch nur entspannen«, klagte ich und trommelte mit den Fingern auf die Armlehne. Meine Haut prickelte, als würde ich unter Hitzewallungen leiden, und ich ließ das
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