Wolfsmagie (German Edition)
»Niemand badet im Loch Ness, es sei denn, der Betreffende hatte zehn Gläser Guinness zu viel intus. Vielleicht war das bei Ihrem mysteriösen Freund der Fall?«
Kris schüttelte den Kopf. »Er hat nicht nach Bier geschmeckt.«
Die plötzliche Stille ließ Kris aufsehen, dann verwünschte sie sich selbst. Sie hatte das tatsächlich laut gesagt.
»Sie haben ihn geküsst?«, fragte Jamaica verdutzt.
»Er hat mich geküsst. Es war …«
Wundervoll , dachte sie.
»Eigenartig«, sagte sie.
Jamaica schwieg weiter, in ihren Augen ein Ausdruck, den Kris nicht deuten konnte. Sie wirkte besorgt und verärgert zugleich, gepaart mit einem winzigen Anflug von Angst. Nur ergab das überhaupt keinen Sinn. Es sei denn …
»Sie wissen jetzt, wer er ist?«, fragte sie.
»Wie kommen Sie darauf?«, gab Jamaica zurück.
Zwei Kunden kamen herein, und Jamaica eilte mit einem »Nett, mit Ihnen gesprochen zu haben«, in dem ein unterschwelliges Verschwinden Sie mitschwang, davon.
Da Kris die Frau gerade erst kennengelernt hatte, konnte sie nicht mit Gewissheit sagen, was sie in ihren Augen gesehen beziehungsweise zwischen den Worten gehört hatte. Aber sie hatte schon genügend Interviews geführt, um zu wissen: Wenn jemand eine Frage mit einer Gegenfrage beantwortete, war das fast immer der Versuch, eine Lüge zu überspielen. Doch warum Jamaica wegen einer Banalität wie dem Namen des Mannes, der Kris auf Urquhart Castle geküsst hatte, lügen sollte, entzog sich ihrer Vorstellungskraft.
Mit einer ordentlichen Dosis Koffein vollgepumpt machte sie sich auf die Suche nach einem Lokal fürs Mittagessen. Dabei ließ sie sich von dem wundersamen Drumnadrochit verzaubern.
Lola besaß eine ansehnliche Sammlung alter Hollywood-Musicals, und Brigadoon war einer ihrer Favoriten. Kris hatte den Film bestimmt ein Dutzend Mal gesehen, und manche Viertel von Drumnadrochit verlockten sie dazu zu trällern: »Fast wie in der Liebe.« Halb rechnete sie damit, hinter der nächsten Ecke auf Cyd Charisse zu stoßen, der tanzend über den Gehsteig wirbelte.
In anderen Teilen hingegen sah es nicht anders aus als in jedem x-beliebigen amerikanischen Touristenstädtchen. Es gab Geschäfte, Museen, Fremdenverkehrsbüros, Hotels mit griffigen Namen wie Highlander und Restaurants, die Frühstücksportionen für »Nessie-Appetit« offerierten. Ein Gebäude stach ihr besonders ins Auge.
»Mythos Motel«, las Kris laut. »Museum, Andenkenladen, Zimmer und Gaststube. Spezialität: Nessie-Nuggets.« Wie könnte sie sich die entgehen lassen? Vor allem, nachdem sie inzwischen hungrig genug war, um Nessie zu verspeisen.
Kris hielt mit der Hand an der Tür inne, dabei überlegte sie, ob die Nessie-Nuggets wohl die Form von Nessie hatten, von etwas, das man an Nessie verfüttern würde, oder ob sie aus Nessie gemacht waren.
Sie stieß ein Schnauben aus. Es gab keine Nessie. Herrgott. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie bald an derselben Wahnvorstellung leiden wie jeder andere in Drumnadrochit. Was würde dann aus Hoax Hunters ? Was würde aus ihr ?
»Ich bekäme einen Tritt in den Hintern und säße auf der Straße«, murmelte sie und zog die Tür auf.
Ein großer, schlanker, in einen Kilt gewandeter Mann stand direkt dahinter. Sein kurz geschorenes Haar und das Kinnbärtchen bildeten einen frappierenden Kontrast zu seinen hellgrauen Augen. »Willkommen im Mythos Motel.«
»Sie sind Amerikaner?«, entfuhr es Kris, die sich über seinen fehlenden Dialekt wunderte und gleichzeitig freute. Sie hatte schon kein akzentfreies Englisch mehr gehört, seit sie aus dem Flieger gestiegen war. Obwohl es erst einen Tag her war, vermisste sie es.
»Technisch gesehen, nein.«
Mit schräg gelegtem Kopf wartete Kris auf eine nähere Erklärung.
»Drüben aufgewachsen, hier geboren«, sagte er. »Ich bin Dougal Scott.«
Kris gab ihm die Hand. »Kris Daniels.«
Er nahm sie. Der Mann hatte hübsche Finger und einen guten Händedruck. Nicht zu schlaff, nicht zu fest, dabei sah er ihr lächelnd ins Gesicht. »Die Schreiberin?«
Kris verdrehte die Augen, was er mit einem Lachen quittierte, das tiefer klang, als sie erwartet hätte, und sehr angenehm.
»Sie werden bald feststellen, dass in Drumnadrochit jeder alles weiß.«
Das wollte Kris nicht hoffen. Andernfalls liefe sie Gefahr, im Loch Ness zu enden. Immerhin plante sie, die Lebensgrundlage der Menschen hier als eine der größten Touristenfallen aller Zeiten zu entlarven.
»Ich bin noch nie jemandem namens
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