Wolfsmale
seine Stimme. Er saß zwar immer noch in sich
zusammengesunken und wirr im Kopf auf der Bettkante, hörte sich aber mit klarer Stimme sagen:
»Hallo, Dr. Frazer. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich hab die Unterlagen über den Wolfsmann-Fall studiert, die Sie mir gegeben haben. Ehrlich
gesagt, ich hab fast die ganze Nacht durchgearbeitet. Ich konnte einfach nicht schlafen, so
aufregend fand ich das alles. Ich hab einige erste Schlussfolgerungen gezogen.«
Rebus berührte das Bett und fühlte die verbliebene Wärme. Wie lange war es her, dass er mit einer
Frau geschlafen hatte? Wie lange, dass er am nächsten Tag aufgewacht war, ohne etwas zu
bedauern?
»Ich verstehe«, sagte er.
Ihr Lachen war wie ein klarer Wasserstrahl. »Inspector, es tut mir Leid, ich hab Sie geweckt. Ich
ruf später noch mal an.«
»Nein, nein. Kein Problem, ehrlich. Ich bin vielleicht ein bisschen überrascht, aber sonst ist
alles in Ordnung. Können wir uns treffen und über das reden, was Sie herausgefunden haben?«
»Natürlich.«
»Ich bin allerdings heute schon ziemlich verplant.« Er versuchte, gestresst zu klingen, und hatte
den Eindruck, dass das ganz gut funktionierte. Also spielte er seine Trumpfkarte aus. »Wie wär's
mit einem Abendessen?«
»Das wäre schön. Und wo?«
Er rieb sich am Schulterblatt. »Ich weiß nicht. Das ist Ihre Stadt, nicht meine. Ich bin doch nur
Tourist.«
Sie lachte. »Ich bin zwar auch nicht von hier, aber ich versteh, was Sie meinen. In dem Fall geht
das Abendessen jedoch auf mich.« Sie klang sehr entschlossen. »Und ich glaube, ich weiß auch,
wohin wir gehen. Ich hol Sie im Hotel ab. Halb acht?«
»Ich freu mich darauf.«
Was für eine angenehme Art, den Tag zu beginnen, dachte Rebus, als er sich wieder hinlegte und
sein Kopfkissen zusammenknüllte. Er hatte kaum die Augen geschlossen, da klingelte das Telefon
erneut.
»Ja?«
»Ich bin an der Rezeption, und Sie sind eine Schlafmütze. Kommen Sie runter, damit ich mein
Frühstück auf Ihre Rechnung setzen kann.«
Klick. Brrr. Rebus knallte den Hörer auf die Gabel und erhob sich knurrend aus dem Bett.
»Sie haben aber lange gebraucht.«
»Ich dachte, die hätten's nicht so gern, wenn hier ein Gast splitternackt im Speisesaal
auftaucht. Sie sind früh dran.«
Flight zuckte die Achseln. »Viel zu tun.« Rebus fiel auf, dass Flight nicht gut aussah. Die
dunklen Ringe um seine Augen und seine blasse Gesichtsfarbe waren nicht bloß auf Schlafmangel
zurückzuführen. Sein ganzes Fleisch schien an ihm herabzuhängen, als ob Magnete auf dem Fußboden
es nach unten zögen. Allerdings fühlte er selbst sich auch nicht so toll. Vermutlich hatte er
sich in der U-Bahn einen Virus gefangen. Sein Hals war ein wenig rau, und sein Kopf dröhnte.
Stimmte es tatsächlich, dass Städte einen krank machten? In einem der Aufsätze, die Lisa Frazer
ihm gegeben hatte, stellte jemand genau diese Behauptung auf und folgerte, dass die meisten
Serienkiller ein Produkt ihrer Umwelt waren. Rebus konnte dazu eigentlich nichts sagen, aber er
wusste mit Bestimmtheit, dass er heute mehr Schleim in der Nase hatte als gewöhnlich. Hatte er
genügend Taschentücher mitgenommen?
»Viel zu tun«, wiederholte Flight.
Sie saßen an einem Zweiertisch. Im Speisesaal war nicht viel los, und die spanische Bedienung
nahm flott ihre Bestellung auf; der Tag hatte noch nicht genug Zeit gehabt, sie zu
zermürben.
»Was wollen Sie heute machen?« Flight schien die Frage nur zu stellen, um ein Gespräch in Gang zu
bringen, doch Rebus hatte konkrete Pläne für diesen Tag und sagte ihm das auch.
»Als Erstes würde ich gern den Mann von Maria Watkiss treffen, diesen Tommy.« Flight quittierte
das mit einem Lächeln und schaute auf den Tisch. »Nur um meine Neugier zu befriedigen«, fuhr
Rebus fort. »Und dann würde ich mich gern mit dem Dentalpathologen unterhalten, mit Dr.
Morrison.«
»Wo Sie die beiden finden können, weiß ich«, sagte Flight. »Was noch?«
»Das ist es so in etwa. Heute Abend bin ich mit Dr. Frazer verabredet« hier blickte Flight mit
anerkennendem Blick auf - »um ihre Erkenntnisse hinsichtlich des Mörderprofils
durchzusprechen.«
»Ähm.« Flight klang wenig überzeugt.
»Ich habe diese Bücher gelesen, die sie mir geliehen hat. Ich glaube, da könnte was dran sein,
George.« Rebus benutzte den Vornamen ganz vorsichtig, doch Flight schien nichts dagegen zu
haben.
Der Kaffee war gebracht worden. Flight schenkte ein und trank eine Tasse, dann
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