Wolfsmale
gesagt. Es war unerträglich. Wirklich
unerträglich.
Rebus legte seine Hände auf die Knie und spreizte die Finger, signalisierte also seine
Bereitschaft, aufzustehen und zu gehen. Tja, war nett, euch zu sehen, aber auf mich wartet ein
Hotelbett mit gestärkten Laken, ein Automat, an dem man Eis ziehen kann, und einer, der Schuhe
putzt. Er begann aufzustehen.
In dem Moment klingelte es. Zweimal kurz, zweimal lang. Samantha flog beinah zur Treppe. Rhona
lächelte.
»Kenny«, erklärte sie.
»Oh?«
»Samanthas derzeitiger Verehrer.«
Rebus nickte bedächtig, der verständnisvolle Vater. Sammy war sechzehn. Sie war von der Schule
abgegangen. Jetzt ein Sekretärinnenkurs am College. Kein Freund, sondern ein Verehrer. »Und wie
sieht's bei dir aus, Rhona?«, fragte er.
Sie öffnete den Mund, um zu antworten, doch die lauten Schritte, die die Treppe hinaufkamen,
ließen sie den Mund wieder schließen. Samanthas Gesicht war gerötet, als sie ihren Verehrer an
der Hand ins Zimmer führte.
Rebus stand automatisch auf.
»Dad, das ist Kenny.«
Kenny trug eine schwarze Lederjacke mit Reißverschluss und eine schwarze Lederhose, dazu Stiefel,
die ihm fast bis an die Knie reichten. Er quietschte bei jeder Bewegung. In der freien Hand hielt
er einen Sturzhelm mit der Öffnung nach oben, aus dem die Finger eines Paars schwarzer
Lederhandschuhe heraushingen. Zwei Finger standen hoch und schienen direkt auf Rebus zu zeigen.
Kenny entzog Samantha seine Hand und streckte sie ihrem Vater entgegen.
»Ach, hallo.«
Seine Stimme klang schroff, der Tonfall tief und selbstbewusst. Er hatte strähnige schwarze
Haare, die fast genau in der Mitte gescheitelt waren. An Wangen und Hals waren noch einige Reste
von Akne, und er hatte einen Tag alte Bartstoppeln im Gesicht. Rebus schüttelte die warme Hand
mit wenig Begeisterung.
»Hallo, Kenny«, sagte Rhona. Dann, an Rebus gerichtet: »Kenny ist Motorradkurier.«
»Ach ja«, sagte Rebus und setzte sich wieder hin.
»Yeah, genau«, Kenny geriet ins Schwärmen, »unten in der City.« Er wandte sich Rhona zu. »Hab
heute einen ganz netten Batzen gemacht, Rhona.« Rhona lächelte freundlich. Dieser junge Verehrer,
dieser Knabe von achtzehn oder so (so viel älter und so viel weltklüger als Samantha) hatte
offensichtlich das Herz von Mutter und Tochter gleichermaßen erobert. Nun wandte er sich mit der
gleichen gewinnenden Art Rebus zu.
»An `nem guten Tag mach ich etwa hundert Pfund. Natürlich war's besser, bevor die Börse auf
Computer umgestellt wurde. Damals gab's `ne Menge neue Firmen, die alle zeigen wollten, wie viel
Schotter sie hatten. Trotzdem kann man immer noch seinen Reibach machen, wenn man schnell und
zuverlässig ist. Mittlerweile fragen viele Kunden ausdrücklich nach mir. Das zeigt, dass ich's
schon zu was gebracht hab.« Er setzte sich neben Samantha auf das Sofa und wartete wie alle
anderen darauf, dass Rebus etwas sagte.
Er wusste, was von ihm erwartet wurde. Kenny hatte den Fehdehandschuh geworfen, und die Botschaft
lautete: Untersteh dich, was gegen mich zu haben. Was wollte der Junge? Dass man seinem Ego
schmeichelte? Rebus' Erlaubnis, seine Tochter zu entjungfern? Ein paar Tipps, wie man Radarfallen
umging? Was auch immer es war, Rebus war nicht bereit, mitzuspielen.
»Kann aber nicht gut für Ihre Lunge sein«, sagte er stattdessen. »All diese Abgase.«
Kenny schien verblüfft über die Wendung, die das Gespräch genommen hatte. »Ich halt mich fit«,
sagte er ein wenig pikiert. Gut, dachte Rebus, ich schaff es also, diesen kleinen Schweinehund zu
provozieren. Er wusste, dass Rhona ihm warnende Blicke zuwarf, er solle aufhören, sagten ihre
durchdringenden Augen, doch Rebus konzentrierte sich ganz auf Kenny.
»Für einen Jungen wie Sie muss es ja reichlich Chancen geben.«
Kenny lebte sofort auf. »Yeah«, sagte er, »vielleicht bau ich mir sogar `ne eigene
Motorrad-Flotte auf. Dazu braucht man nur...« Er verstummte, da ihm verspätet auffiel, dass man
ihn als »Jungen« bezeichnet hatte, als trüge er Shorts und eine Schülerkappe. Aber jetzt war es
zu spät, darauf einzugehen und es zu korrigieren, viel zu spät. Er musste weitermachen, doch
jetzt hörte sich das alles nach Spielplatzfantasien und Hirngespinsten an. Dieser Bulle mochte
zwar aus Jockland stammen, aber er war in jeder Hinsicht so aalglatt wie ein abgebrühter East
Ender. Er musste aufpassen, was er tat. Was ging denn hier ab? Dieser Jock, dieser ruppig
aussehende
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