Wolfsmale
schmatzte er mit
den Lippen. »Ich nicht«, sagte er.
»Was nicht?«
»Ich glaube nicht, dass an diesem ganzen Psychologiekram was dran ist. Zu viel Spekulation und
alles nicht wissenschaftlich genug. Ich hab lieber etwas Greifbares. Ein Dentalpathologe, also,
das ist was Greifbares. Das ist etwas, an dem man...«
»Sich festbeißen kann?« Rebus lächelte. »Dummer Scherz, aber ich bin nicht Ihrer Meinung. Wann
hat Ihnen das letzte Mal ein Pathologe eine präzise Todeszeit genannt? Die wollen sich doch nie
genau festlegen.«
»Aber sie arbeiten mit Tatsachen, mit konkretem Beweismaterial, nicht mit irgendwelchem
Hokuspokus.«
Rebus lehnte sich zurück. Er musste an eine Figur in einem Roman von Dickens denken, den er vor
langer Zeit gelesen hatte, einen Lehrer, der nichts als Tatsachen wollte. »Na hören Sie mal,
George«, sagte er, »wir leben im zwanzigsten Jahrhundert.«
»Das stimmt«, sagte Flight. »Und wir glauben nicht mehr an Wahrsagerinnen.« Er blickte wieder
auf. »Oder etwa doch?«
Rebus zögerte die Antwort hinaus, indem er Kaffee nachschenkte. Er spürte, wie seine Wangen
kribbelten. Vermutlich wurden sie jetzt rot. Das passierte ihm immer bei Diskussionen; selbst so
kleine Meinungsverschiedenheiten wie diese reichten oft schon. Er achtete darauf, dass er seine
nächste Äußerung mit leiser und besonnener Stimme vorbrachte.
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Ich will sagen, dass Polizeiarbeit mühevolle Kleinarbeit ist, John.« (Er redet mich noch immer
mit dem Vornamen an, dachte Rebus, das ist gut.) »Und Abkürzungen funktionieren selten. Ich will
damit sagen, lassen Sie nicht Ihren Hampton für Sie das Denken übernehmen.« Rebus wollte schon
protestieren, aber er war sich nicht ganz sicher, was Flight meinte. Flight lächelte.
»Das ist Rhyming-Slang«, erklärte er. »Mit Hampton ist der Londoner Vorort Hampton Wick gemeint,
und das reimt sich auf prick oder vielleicht auf dick , also Pimmel. Wie dem auch
sei, ich will Sie lediglich davor warnen, sich von einer gut aussehenden Frau Ihr berufliches
Urteilsvermögen trüben zu lassen.«
Rebus wollte immer noch protestieren, doch er sah ein, dass das wenig Sinn hatte. Nachdem er
seine Bedenken ausgesprochen hatte, schien Flight jedenfalls zufrieden. Vielleicht hatte er ja
sogar Recht? Wollte Rebus sich mit Lisa Frazer wegen des Falles treffen, oder weil sie Lisa
Frazer war?
Trotzdem hatte er immer noch das Bedürfnis, sie zu verteidigen.
»Hören Sie«, sagte er, »ich hab die Bücher, die sie mir gegeben hat, gelesen, und da stehen
einige ganz gute Sachen drin.« Flight überzeugte das nicht, und er drängte Rebus, das näher zu
erläutern. Und als er anfing zu reden, merkte er, dass Flight ihn mit dem gleichen Trick
reingelegt hatte, mit dem er gestern Abend den Motorradkurier reingelegt hatte. Zu spät; er
musste Lisa Frazer verteidigen und sich selbst, auch wenn alles, was er jetzt sagte, sich in
seinen Ohren bereits dumm und unausgegoren anhörte, wie dann erst in Flights?
»Wir haben es hier mit einem Mann zu tun, der Frauen hasst.« Flight sah ihn erstaunt an, als wäre
das zu offenkundig, um es überhaupt auszusprechen. »Oder«, fuhr Rebus rasch fort, »der seine
Rache an Frauen nehmen muss, weil er zu schwach und zu ängstlich ist, sie an einem Mann zu üben.«
Flight räumte diese Möglichkeit mit einem knappen Nicken ein.
»Ein großer Teil der so genannten Serienkiller«, fuhr Rebus, mit einer Hand unbewusst nach dem
Buttermesser greifend, fort, »ist sehr konservativ und sehr ehrgeizig, aber in ihrem Ehrgeiz
beschnitten. Sie fühlen sich von der sozialen Klasse unmittelbar über ihnen zurückgewiesen, und
machen die zu ihrer Zielgruppe.«
»Was? Eine Prostituierte, eine Verkäuferin und eine Büroangestellte? Wollen Sie behaupten, dass
die zur gleichen sozialen Gruppe gehören? Wollen Sie sagen, dass der Wolfsmann gesellschaftlich
niedriger steht als eine Nutte? Hören Sie mit dem Quatsch auf, John.«
»Das ist nur eine allgemeine Regel«, beharrte Rebus und wünschte, er hätte dieses Gespräch nie
angefangen. Er drehte das Messer in der Hand.
»Einer der frühesten Serienkiller war übrigens ein französischer Adeliger.«
Seine Stimme verstummte. Flight sah ihn ungeduldig an. »Ich gebe ja nur wieder, was in diesen
Büchern steht. Einiges klingt ganz plausibel, bloß dass wir bisher nicht genug über den Wolfsmann
wissen, um festzustellen, was davon auf ihn zutrifft.«
Flight trank seine zweite
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