Wolfsmale
Tasse Kaffee aus. »Reden Sie weiter«, sagte er lustlos. »Was steht
sonst noch in den Büchern?«
»Einige Serienkiller sehnen sich nach Publicity«, sagte Rebus. Er hielt inne und dachte an den
Mörder, der vor fünf Jahren sein Spielchen mit ihm getrieben und sie alle an der Nase
herumgeführt hatte. »Wenn der Wolfsmann sich mit uns in Verbindung setzt, haben wir eine größere
Chance, ihn zu erwischen.«
»Vielleicht. Was schlagen Sie vor?«
»Ich meine, wir sollten ihm ein paar Fallen stellen, ein paar Gruben graben. Bringen Sie
Inspector Farraday dazu, einige pikante Details an die Presse auszustreuen, zum Beispiel, dass
wir vermuten, der Wolfsmann sei schwul oder ein Transvestit. Es kann irgendwas sein, Hauptsache,
es steht im Widerspruch zu seiner konservativen Haltung. Vielleicht lockt ihn das aus seinem
Versteck.«
Rebus ließ das Messer los und wartete auf Flights Antwort. Doch Flight ließ sich Zeit. Er fuhr
mit einem Finger um den Rand seiner Tasse. »Keine schlechte Idee«, sagte er schließlich. »Aber
ich würde darauf wetten, dass Sie das nicht aus den Büchern haben.«
Rebus zuckte die Achseln. »Vielleicht nicht so ganz.«
»Hab ich mir gedacht. Mal sehen, was Cath dazu sagt.« Flight stand auf.
»Nun wollen wir mal wieder zu etwas prosaischeren Dingen zurückkehren. Ich denke, dass ich Sie
auf direktem Weg zu Tommy Watkiss bringen kann. Kommen Sie. Und übrigens vielen Dank fürs
Frühstück.«
»Gern geschehen«, sagte Rebus. Ihm war klar, dass seine Verteidigung der Psychologie, zu der sich
das Ganze entwickelt hatte, Flight nicht überzeugt hatte. Aber versuchte er überhaupt, Flight zu
überzeugen oder eher sich selbst? Versuchte er, Flight zu beeindrucken oder Dr. Lisa
Frazer?
Sie gingen jetzt durch die Empfangshalle, Rebus mit der Aktentasche in der Hand. Flight blickte
ihn an.
»Wissen Sie eigentlich«, sagte er, »warum man uns `Old Bill' nennt?«
Rebus zuckte stumm die Achseln. »Einige behaupten, wir wären nach einem gewissen Wahrzeichen von
London benannt. Sie können ja auf dem Weg dorthin ein bisschen raten.« Und mit diesen Worten
stieß Flight kräftig gegen die Drehtür, durch die man aus dem Hotel gelangte.
Old Bailey war nicht ganz so, wie Rebus erwartet hatte. Die berühmte Kuppel war zwar da, auf der
Justitia mit verbundenen Augen ihre Waage hält, doch ein großer Teil des Gerichtskomplexes war
sehr viel moderner gestaltet. Sicherheit war das oberste Prinzip. Röntgengeräte,
Sicherheitstürschleusen, durch die immer nur eine Person das Innere des Gebäudes betreten konnte,
und überall Wachpersonal. Die Fensterscheiben waren mit Klebefolie überzogen, damit bei einer
Explosion keine tödlichen Glasscherben durch die Eingangshalle fliegen konnten. Im Gebäude liefen
Gerichtsdiener (alles Frauen) mit wehenden schwarzen Umhängen herum und versuchten, verirrte
Geschworene einzusammeln. »Sind hier Geschworene für Gerichtssaal Nummer vier?«
»Geschworene für Gerichtssaal Nummer zwölf, bitte!« Die ganze Zeit wurden durch die
Lautsprecheranlage die Namen von vermissten Geschworenen aufgerufen.
Es war der hektische Anfang eines weiteren Tags im Gericht. Zeugen rauchten Zigaretten, besorgt
aussehende Anwälte, beladen mit Dokumenten, hielten geflüsterte Zwiesprachen mit dumpf vor sich
hinblickenden Mandanten, und Polizeibeamte warteten nervös, um ihre Aussage zu machen.
»Hier gewinnen oder verlieren wir, John«, sagte Flight. Rebus war sich nicht sicher, ob er die
Gerichtssäle meinte oder die Menschenmenge. In den Stockwerken über ihnen waren Verwaltungsbüros,
Ankleideräume und Restaurants. Doch auf der Etage, auf der sie gerade waren, wurden die Prozesse
geführt und entschieden. Durch mehrere Türen links von ihnen war der ältere, überkuppelte Teil
von Old Bailey zu sehen, ein dunklerer und Furcht erregenderer Ort als diese helle, mit Marmor
ausgestattete Galerie. Hier hallte das Quietschen von Gummisohlen wider, das Klacken von Absätzen
auf dem harten Boden und das ständige Gemurmel zahlloser Gespräche.
»Kommen Sie mit«, sagte Flight. Er führte sie zu einem der Gerichtssäle, wo er kurz mit dem
Sicherheitsbeamten und einem der Gerichtsdiener sprach, bevor er mit Rebus hineinging.
Wurde die Eingangshalle von Stein und schwarzem Leder dominiert, so herrschte im Gerichtssaal
Holztäfelung und grünes Leder vor. Sie setzten sich auf zwei Stühle gleich neben der Tür zu DC
Lamb, der bereits mit ernstem Gesicht dort saß, die
Weitere Kostenlose Bücher