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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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Wichser in seinen schlecht sitzenden Klamotten, dieser typische C&A;-Mann, erging
sich gerade in Erinnerungen an einen Lebensmittelladen in seiner Jugend. Eine Zeit lang hatte
Rebus als »Message Boy« für diesen Lebensmittelhändler gearbeitet. (Er erklärte, dass man in
Schottland unter »Messages« Lebensmittel und nicht Nachrichten verstand.) Er war mit einem
schwarzen Fahrrad mit schwerem Rahmen herumgefahren, das vor der Lenkstange einen rechteckigen
Vorbau aus Metall hatte. Die Kiste mit den Lebensmitteln wurde in diesen Vorbau hineingestellt,
dann radelte er los, um die Sachen auszuliefern.
»Ich hielt mich für reich«, sagte Rebus, der offenbar zu seiner Pointe kam. »Doch als ich mehr
Geld wollte, war nichts zu holen. Ich musste warten, bis ich alt genug war, um einen richtigen
Job zu kriegen, aber ich bin gern auf diesem Fahrrad herumgefahren und hab für die alten Leute
eingekauft und ihnen die Sachen gebracht. Manchmal haben sie mir sogar ein Trinkgeld gegeben,
etwas Obst oder ein Glas Marmelade.«
Im Zimmer herrschte Schweigen. Draußen raste eine Polizeisirene vorbei. Rebus lehnte sich zurück
und verschränkte die Arme; ein sentimentales Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Und da
dämmerte es Kenny - Rebus verglich sie beide miteinander! Seine Augen weiteten sich. Jeder wusste
es. Rhona wusste es. Sam wusste es. Am liebsten wäre er aufgestanden und hätte den Bullen fertig
gemacht, auch wenn er Sams Vater war. Doch er hielt sich zurück, und der Wutanfall ging vorüber.
Rhona stand auf, um noch mehr Tee zu kochen, und der große Schweinehund stand auf und sagte, er
müsste jetzt gehen.
Es war alles so schnell passiert, dass Kenny immer noch versuchte, Rebus' Geschichte zu
entschlüsseln, und Rebus merkte das. Der arme, halbgebildete Wicht versuchte, sich klar zu
machen, wie sehr Rebus ihn gedemütigt hatte. Rebus wusste die Antwort darauf: so weit wie
nötig.
Rhona hasste ihn natürlich dafür, und Samantha wirkte peinlich berührt.
Zum Teufel mit ihnen. Er hatte seine Pflicht getan, seine Aufwartung gemacht. Er würde sie nicht
noch einmal behelligen. Sollten sie doch in ihrer engen Wohnung leben, sich von diesem...
Verehrer besuchen lassen, der so tat, als wäre er erwachsen. Rebus hatte wichtigere Dinge zu
tun.
Bücher zu lesen. Notizen zu machen. Vor ihm lag ein weiterer arbeitsreicher Tag. Es war zehn Uhr.
Um elf könnte er wieder in seinem Hotel sein. Früh ins Bett gehen, das war es, was er brauchte.
In den letzten zwei Tagen nur acht Stunden Schlaf. Kein Wunder, dass er gereizt und auf
Konfrontation aus war.
Er begann, sich ein wenig zu schämen. Kenny war ein zu einfaches Opfer. Er hatte eine winzige
Fliege mit seiner zentnerschweren Abneigung erdrückt. Abneigung, John, oder Eifersucht? Das war
keine Frage für einen müden Mann. Keine Frage für einen Mann wie John Rebus. Morgen würde er
vielleicht versuchen, Antworten zu finden. Er war entschlossen, für Kost und Logis etwas zu
leisten, da man ihn nun mal nach London geholt hatte.
Ab morgen würde er sich ernsthaft an die Arbeit machen.
Er schüttelte Kenny noch einmal die Hand und zwinkerte ihm vage von Mann zu Mann zu, bevor er die
Wohnung verließ. Rhona bot an, ihn zur Haustür zu begleiten. Sie gingen in den Flur und ließen
Samantha und Kenny hinter der verschlossenen Tür im Wohnzimmer zurück.
»Schon gut«, sagte Rebus rasch. »Ich find allein raus.« Er machte sich auf den Weg die Treppe
hinunter, weil er wusste, wenn er länger bliebe, würde er mit Rhona in Streit geraten. Was hätte
das für einen Sinn. »Du solltest lieber ein Auge auf Casanova werfen«, rief er stattdessen. Diese
letzte Gemeinheit konnte er sich nicht verkneifen.
Als er draußen war, erinnerte er sich daran, dass auch Rhona junge Liebhaber bevorzugte.
Vielleicht hatte sie... nein, dieser Gedanke war seiner unwürdig. »Verzeih mir, Gott«, sagte er,
während er mit festen Schritten zur U-Bahn zurückging.

Etwas läuft schief.
Nach dem ersten Töten hatte sie Entsetzen empfunden, Reue und Schuld. Sie hatte um Vergebung
gefleht; sie würde nicht wieder töten.
Nach einem Monat, einem Monat, in dem sie nicht aufgespürt worden war, wurde sie optimistischer
und auch hungriger. Also tötete sie wieder.
Das hatte wieder für einen Monat gereicht, und so war es weitergegangen.
Doch jetzt, nur vierundzwanzig Stunden nach dem vierten Mal, hatte sie den Drang schon wieder
gespürt. Ein Drang, der stärker und

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