Wolfsmale
Sollte er erwähnen, dass er sie im British Museum
gesehen hatte? Nein, das würde er nicht tun.
Außerdem schüttelte sie den Kopf. »Doch, das hatten wir schon, aber wir hatten uns nichts zu
sagen.« Ihre Stimme klang nicht bitter; sie stellte lediglich eine Tatsache fest. Rebus blickte
nach unten auf die Türschwelle.
»Ich komm wohl zu einem ungünstigen Zeitpunkt«, sagte er. »Tut mir Leid.«
»Brauchst dich nicht zu entschuldigen.«
»Ist Sammy da?«
»Sie ist mit Kenny unterwegs.«
Rebus nickte. »Na schön«, sagte er, »viel Spaß, was auch immer du vorhast.« Mein Gott, er war
tatsächlich eifersüchtig. Das war doch nicht zu fassen, nach all den Jahren. Es musste am Make-up
liegen. Rhona hatte selten welches benutzt. Er wandte sich halb zum Gehen, dann zögerte er.
»Könnte ich vielleicht mal bei dir aufs Klo?«
Sie sah ihn durchdringend an, um festzustellen, ob er irgendwas damit bezweckte, doch er lächelte
und setzte dabei seinen überzeugendsten Blick Marke geprügelter Hund auf. Sie gab nach.
»Dann geh«, sagte sie. »Du weißt ja, wo's ist.«
Er ließ die Tragetasche an der Tür stehen, schob sich an ihr vorbei und ging die Treppe hinauf.
»Danke, Rhona«, sagte er.
Sie blieb in der Nähe der Tür und wartete darauf, ihn wieder rauszulassen. Er ging über den
Treppenabsatz zum Badezimmer, öffnete und schloss laut die Tür. Dann öffnete er sie wieder ganz
leise und schlich über den Treppenabsatz zurück zum Telefon, das auf einem kleinen, ziemlich
grotesken Gebilde aus Messing, grünem Glas und roten herabhängenden Troddeln stand. Unter diesem
Tischchen waren die Telefonbücher von London gestapelt, doch Rebus machte sich sofort an das
»Adressen und Telefonnummern«-Heft, das auf dem Tisch lag. Ein paar von den Eintragungen waren in
Rhonas Handschrift. Wer, fragte er sich, waren denn Tony, Tim, Ben und Graeme? Doch die meisten
Eintragungen waren in Sammys größerer und selbstbewussterer Schrift. Er blätterte zum Buchstaben
K und fand, was er suchte.
»KENNY« stand da in großen Druckbuchstaben, darunter eine siebenstellige Nummer und das Ganze von
einem Herz umrahmt. Rebus nahm Stift und Notizblock aus seiner Jackentasche und schrieb die
Nummer ab. Dann schloss er das Heft und ging auf Zehenspitzen ins Bad zurück, wo er die Spülung
betätigte, sich kurz die Hände wusch und dann ganz locker wieder die Treppe hinunterlief. Rhona
blickte die Straße auf und ab.
Offensichtlich hoffte sie, dass ihr Kavalier nicht gerade jetzt kommen und ihn antreffen
würde.
»Tschüs«, sagte er, nahm seine Tragetasche, ging an ihr vorbei und machte sich auf den Weg zur
Hauptstraße. Er war fast am Ende ihrer Straße, als ein weißer Ford Escort von der Hauptstraße
abbog und langsam an ihm vorbeifuhr. Am Lenkrad saß ein heimtückisch aussehender Mann mit
schmalem Gesicht und dickem Schnurrbart. Rebus blieb an der Ecke stehen und beobachtete, wie der
Mann vor Rhonas Haus anhielt. Sie hatte bereits die Haustür abgeschlossen und sprang beinah zum
Auto. Rebus wandte sich ab, bevor sie den Mann namens Tony, Tim, Ben oder Graeme umarmen oder
küssen konnte.
In einem großen Pub nahe der U-Bahn-Station, einem scheunenartigen Laden mit knallrot
gestrichenen Wänden, fiel Rebus ein, dass er, seit er im Süden war, die hiesigen Biersorten noch
gar nicht probiert hatte. Er war zwar mit George Flight mal einen trinken gewesen, hatte sich da
aber an Whisky gehalten. Er betrachtete die Reihe von Zapfhähnen, während der Barmann ihn
beobachtete, eine Hand besitzergreifend auf einen Zapfhahn gelegt. Rebus deutete mit dem Kopf auf
diese Hand.
»Ist das gut?«
Der Mann schnaubte verächtlich. »Das ist Fuller's, Kumpel, natürlich ist das gut.«
»Dann bitte ein Pint.«
Das Bier sah wässrig aus wie kalter Tee, doch es hatte einen angenehmen Malzgeschmack. Da der
Barmann ihn immer noch beobachtete, nickte Rebus beifällig, dann ging er mit seinem Glas nach
hinten in eine Ecke, wo sich ein öffentliches Telefon befand. Er wählte die Nummer des
Polizeipräsidiums und fragte nach Flight.
»Der ist schon weg«, wurde ihm erklärt.
»Dann verbinden Sie mich mit irgendjemandem von der Kriminalpolizei, der mir weiterhelfen kann.
Ich hab eine Telefonnummer und möchte wissen, zu welchem Anschluss die gehört.« Für diese Dinge
gab es alle möglichen Regeln und Bestimmungen, Regeln, über die man sich früher hinweggesetzt
hatte, denen aber in jüngster Zeit mehr Aufmerksamkeit geschenkt
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