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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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bloß ein paar Namen aus den Büchern wieder erkannt, die du mir
geliehen hast, also hab ich gedacht...«
Sie hielt ein weiteres Buch hoch, damit er den Titel sehen konnte. »King Ludd« von Andrew
Sinclair. »Hast du die ersten beiden Bände gelesen?«, fragte sie.
»Oh«, sagte er enttäuscht, »gehört das zu einer Trilogie? Mir hat der Titel gefallen.«
Sie sah ihn fragend an, dann lachte sie. Rebus merkte, wie er am Hals rot wurde. Sie machte sich
über ihn lustig. Er wich ihrem Blick aus und konzentrierte sich auf das Muster des Teppichs,
strich mit der Hand über die rauen Fasern.
»Oje«, sagte sie und begann zurückzukriechen. »Tut mir Leid, das hab ich nicht so gemeint. Tut
mir Leid.« Und sie legte ihm eine Hand auf beide Beine, kniete sich vor ihn und hielt den Kopf so
schräg, dass er gezwungen war, ihr in die Augen zu sehen. Sie lächelte entschuldigend. »Tut mir
Leid«, hauchte sie beinah lautlos. Er rang sich ein Lächeln ab, das heißen sollte: »Schon gut.«
Sie beugte sich zu ihm vor, drückte ihre Lippen auf seine und ließ eine Hand sein Bein bis zum
Oberschenkel hinaufgleiten, und dann noch ein Stückchen weiter.
Es war bereits Abend, bevor er entkommen konnte, obwohl »entkommen« vielleicht ein bisschen zu
schroff formuliert war. Allerdings hätte er es beinah nicht geschafft, sich von Lisas schlafendem
Körper zu lösen. Der Geruch ihres Körpers, der süße Duft ihres Haars, die angenehme Wärme ihres
Bauches, ihrer Arme, ihres Hinterns. Sie wachte nicht auf, als er leise aus dem Bett aufstand und
sich anzog. Sie wachte auch nicht auf, als er ihr wieder mal eine Notiz schrieb, seine
Tragetasche mit den Büchern nahm, die Tür öffnete, einen letzten Blick auf das Bett warf und dann
die Tür hinter sich zuzog.
Er ging zur U-Bahn-Station Covent Garden, wo er zwei Möglichkeiten hatte: entweder die Schlange
vor dem Aufzug oder die etwa dreihundert Stufen der Wendeltreppe. Er entschied sich für die
Treppe. Sie schien nicht enden zu wollen, führte in Windungen immer weiter nach unten. Ihm wurde
leicht schwindlig bei dem Gedanken, wie es gewesen sein musste, diese Wendeltreppe während des
Krieges hinunterzugehen. Weiß gekachelte Wände wie in öffentlichen Toiletten. Rumpeln von oben.
Das dumpfe Echo von Schritten und Stimmen.
Er musste auch an das Scott Monument in Edinburgh denken, mit seiner extrem engen Wendeltreppe,
die noch beklemmender war als diese hier.
Dann war er endlich unten, einige Sekunden vor dem Aufzug. Die U-Bahn war so voll, wie er es
erwartet hatte. Neben einem Schild mit der Aufforderung »Genieß deinen Walkman allein« wollte ein
weißer Jugendlicher in einem grünen Parka mit dazu passenden Zähnen seinen musikalischen
Geschmack partout mit dem ganzen Wagen teilen. Seine Augen hatten einen abwesenden und absolut
leeren Blick. Ab und zu trank er einen Schluck starken Lager-Biers aus einer Dose. Rebus spielte
mit dem Gedanken, etwas zu sagen, hielt sich jedoch zurück. Er fuhr ja nur eine Station. Wenn die
finster blickenden Fahrgäste das schweigend erdulden wollten, sollte es ihm recht sein.
In Holborn drängte er sich aus dem Zug, nur um sich kurz darauf in einen weiteren zu quetschen,
diesmal einen der Central Line. Und wieder ließ irgendjemand einen Walkman auf voller Lautstärke
laufen, doch er musste irgendwo am anderen Ende des Wagens sein, sodass Rebus nur das
Tschch-tschch-tschch ertragen musste, das er für das Schlagzeug hielt.
Allmählich wurde er zu einem versierten U-Bahn-Fahrer. Es gelang ihm, seinen Blick ins Leere
statt auf seine Mitreisenden zu richten und während der ganzen Fahrt an überhaupt nichts zu
denken.
Wie diese Leute das jeden Tag ein ganzes Berufsleben lang aushielten, das wusste wohl nur Gott
allein.
Er hatte bereits an der Tür geklingelt, als ihm plötzlich einfiel, dass er keinerlei Vorwand
hatte, hier aufzukreuzen. Lass dir schnell was einfallen, John.
Die Tür wurde aufgerissen. »Ach, du bist's.« Sie klang enttäuscht.
»Hallo, Rhona.«
»Womit haben wir denn die Ehre verdient?« Sie blieb wie angewurzelt in der Tür stehen, ohne ihn
hereinzubitten. Sie hatte ein wenig Make-up aufgelegt, und was sie trug, war nicht die typische
Freizeitkleidung, mit der man zu Hause herumlümmelt. Offensichtlich wollte sie ausgehen. Sie
wartete auf einen Verehrer.
»Kein besonderer Grund«, sagte er. »Ich dachte, ich komm einfach mal vorbei. Letztes Mal hatten
wir ja nicht viel Gelegenheit, zu reden.«

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