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Wolfsmale

Titel: Wolfsmale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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Maul, in dem die Zähne
sich zu einer einheitlichen glatten Fläche abgeschliffen hatten. Kein Biss. Würde Rhona es ihm
danken, wenn er rüberkam und ihren Unterricht störte, nur um ein bisschen Smalltalk zu machen?
Nein, das würde sie nicht. Aber wenn sie ihn nun entdeckt hatte und er sich davonschlich, würde
es wie die Tat eines Feiglings aussehen.
Zum Teufel, er war ein Feigling. Am besten, sich damit abfinden und zur Tür zurückgehen.
Vielleicht sah sie ihn ja gar nicht, und falls doch, würde sie es wohl kaum laut verkünden
wollen. Andererseits wollte er mehr über Kenny erfahren. Und wen könnte er da besser fragen als
Rhona? Darauf gab es eine einfache Antwort: besser irgendjemand anderen fragen. Er würde Samantha
fragen. Ja, das würde er tun. Er würde Samantha fragen.
Er schlich sich zu der Glastür zurück und ging dann forsch auf den Ausgang zu. Plötzlich schienen
all diese erlesenen Vasen und Statuen lächerlich. Was hatte es für einen Sinn, sie hinter Glas zu
stellen, damit die Leute im Vorübergehen einen Blick darauf werfen konnten? War es nicht besser,
nach vorn zu schauen und die graue Vorzeit zu vergessen? Wäre es nicht besser, einfach Lambs böse
gemeinten Rat zu befolgen? In London gab es zu viele Geister. Viel zu viele. Selbst der Reporter
Jim Stevens war hier irgendwo. Rebus rannte beinah über den Museumsvorplatz und blieb erst
stehen, als er das Tor erreicht hatte. Die Wächter starrten ihn merkwürdig an und sahen dann auf
seine Tragetasche. Das sind bloß Bücher, wollte er sagen. Doch er wusste, dass man alles Mögliche
in einem Buch verstecken konnte, alles Mögliche. Das wusste er dank einer schmerzvollen
persönlichen Erfahrung.
Wenn du deprimiert bist, tu was Unüberlegtes. Er streckte einen Arm zur Straße hin aus, und es
gelang ihm gleich beim ersten Versuch, ein freies schwarzes Taxi anzuhalten. Er konnte sich nicht
an den Namen der Straße erinnern, zu der er wollte, aber das machte nichts.
»Covent Garden«, sagte er zu dem Fahrer. Als das Taxi, wie Rebus annahm, ziemlich verkehrswidrig
wendete, tauchte er mit einer Hand in seine Tüte, um den ersten Preis herauszuholen.
Er schlenderte etwa zwanzig Minuten über den Covent Garden Market, sah einem Zauberkünstler zu
und ein Stück weiter einem Feuerschlucker, bevor er sich auf die Suche nach Lisas Wohnung machte.
Sie war nicht allzu schwer zu finden. Er war über sich selbst überrascht, dass er sich an einen
Drachenladen erinnerte und an ein weiteres Geschäft, das anscheinend ausschließlich Teekannen
verkaufte. Er bog nach links, dann nach rechts und noch mal nach rechts und stand in ihrer Straße
vor dem Schuhgeschäft.
In dem Geschäft war viel Betrieb. Die Kundschaft, wie auch das Personal, war sehr jung,
vermutlich noch im Teenageralter. Ein Jazz-Saxophon war zu hören. Vielleicht ein Tonband oder
irgendwo ein Straßenmusikant. Er sah zu dem Fenster von Lisas Wohnung hinauf, das mit dem
leuchtend gelben Springrollo. Wie alt mochte sie eigentlich sein? Es war schwer zu sagen.
Dann erst ging er zur Tür und drückte auf ihre Klingel. Ein lautes Knacken kam aus der
Sprechanlage, wie von einem Wackelkontakt.
»Hallo?«
»Ich bin's, John.«
»Hallo? Ich kann nichts verstehen!«
»Hier ist John«, sagte er laut in den Türrahmen hinein und schaute sich verlegen um. Aber niemand
beachtete ihn. Die Leute warfen im Vorübergehen einen Blick in das Schaufenster und aßen
merkwürdig aussehende Snacks, irgendwas Gemüseartiges.
»John?« Als hätte sie ihn bereits vergessen. Dann: »Oh, John.« Und der Summer erklang neben ihm.
»Die Tür ist auf. Komm rauf.«
Die Tür zu ihrer Wohnung war ebenfalls geöffnet, und er machte sie hinter sich zu. Lisa war
dabei, das Studio, wie sie es nannte, aufzuräumen.
In Edinburgh hätte man so was nicht als Studio bezeichnet. Man hätte es Studentenbude genannt. Er
nahm an, dass es in Covent Garden so was wie Studentenbuden nicht gab.
»Ich hab mehrmals versucht, dich zu erreichen«, sagte er.
»Ich auch.«
»Ach?«
Sie bemerkte den zweifelnden Unterton in seiner Stimme und sah ihn an. »Hat man dir nicht
Bescheid gesagt? Ich hab bestimmt ein halbes Dutzend Nachrichten bei einem Typ hinterlassen, wie
hieß der noch gleich, Shepherd?«
»Lamb?«
»Genau.«
Rebus' Abneigung gegen Lamb wurde noch größer.
»Etwa vor einer Stunde«, fuhr sie fort, »hab ich angerufen, und da hat man mir gesagt, du wärst
zurück nach Schottland. Ich war ein bisschen sauer

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