Wolfsmondnacht (German Edition)
eigenen so glich.
Kalt war das Blut des Bluttrinkers, doch brennend zugleich füllte es ihn aus. Es lief in seiner Kehle hinab und zerbarst in seinem Magen zu einem Feuerball. Brennende Flüsse breiteten sich aus, durchzogen seine Adern bis hinein ins feinste Gespinst. Es verwandelte ihn. Es erschien ihm, als würde er von innen nach außen gekehrt.
Alles veränderte sich. Seine Adern brannten und erbebten. Krämpfe schüttelten seinen Leib. Er spürte die Arme des Fremden um sich, der ihn an seine Brust zog und sanft seine Wange streichelte. Dessen Atem, der kühl wie der Nachtwind über sein Gesicht strich.
»Ich bleibe bei dir, bis es vollzogen ist«, sagte dieser mit seiner von einem fremdartigen Akzent angehauchten Stimme.
Er küsste Jean-François’ Stirn. »Denke an all die Schmerzen sowie Krankheiten und Alter, die dich nicht mehr ereilen können. Einzig Feuer und die Sonne können dich vernichten. In den ersten Jahren deiner Existenz nimm dich in acht, dass man dich nicht köpft oder dir das Herz herausschneidet.« Die Stimme des Mannes war ein Flüstern und der Hauch seines Atems fuhr über Jean-François Haut kühler als der Nachtwind.
»Ich werde mich bemühen«, brachte Jean-François mühsam hervor. Seine Stimme klang krächzend.
Jean-François klammerte sich an den Bluttrinker, ließ sich in die Kälte der Umarmung fallen, die ihm einen Teil seiner Furcht vor dem Ungewissen nahm. Die Krämpfe schwollen an und in jenem Moment, in dem er glaubte zu zerbersten, sie nicht mehr ertragen zu können, verschwanden sie, als wären sie niemals gewesen.
Tief sog Jean-François die Nachtluft ein, obwohl es seinem Leib nicht mehr nach Atem verlangte. Sein Herz schlug laut in seiner Brust. Er ahnte, dass er es anhalten konnte, ohne zu vergehen. Er war tot, gestorben und doch fühlte er sich höchst lebendig. Jean-François blickte den Bluttrinker in seinen Armen an, dessen Blut seine Adern durchströmte, so wie das seine jetzt in ihm war.
»Wie ist dein Name?«, fragte Jean-François.
»Amaël.«
Ein Name, den er niemals vergessen würde.
Der Fremde löste die Umarmung, erhob sich und bot Jean-François seinen Arm an, den er dankend ergriff. Auch er richtete sich auf und hob sein Antlitz dem Mond entgegen. Er stand inmitten des Cimetière des Innocents auf einem der Massengräber und lauschte den tausend Stimmen der Nacht, die zu ihm sprachen.
Er roch die unzähligen Leiber der Toten, die in den Massengräbern vermoderten, die welkenden Blumen darüber, die Gerüche der Stadt nach Unrat, Blut und Urin in den Rinnsteinen. Er hörte die Menschen nicht nur, er spürte sie, jeden Einzelnen davon in seiner ihm eigenen Ausstrahlung und die Emotionen, die von ihm ausgingen wie Wellen, die die Luft aufwühlten.
Ein anderer war Jean-François geworden und war dennoch er selbst. Er war bereit, sein Paris noch einmal kennenzulernen, wie man eine alte Liebe und Leidenschaft neu entfachte.
Die Rose, die er für Suzette mit sich getragen hatte, war seiner Hand entfallen. Tief hatten die Dornen in sein Fleisch gestochen, als er mit den Krämpfen der Umwandlung kämpfte. Die Wunden hatten sich geschlossen, doch blutbenetzt waren seine Finger. Der Fremde ergriff seine Hand und nahm seine Finger in den Mund, einen nach dem anderen. Er leckte und sog genüsslich daran, dass es Jean-François Schauder über seinen Rücken ziehen ließ, die nicht von der Furcht allein stammten. Zögernd entließ der Fremde seine Hand. Ein Ausdruck des Bedauerns lag auf dessen Gesicht.
» Kenavo «, sprach der Fremde. Nur am Tonfall erkannte Jean-François, dass es ein Abschiedsgruß sein musste.
»Amaël«, flüsterte Jean-François den Namen, in der Hoffnung, etwas von ihm darin festzuhalten für die Ewigkeit, die kommen sollte und diese grünen Augen richteten sich auf ihn. »Woher kommst du, Amaël?«
Nur ein einziges Wort durchbrach die Stille der Nacht, bevor sie über ihn zusammenschlug und Amaël verschwand, als wäre er nie gewesen.
»Ys«, war dieses eine Wort. Ys, die Stadt der Legenden. Jean-François erstarrte in der Schwere der Erkenntnis. Er hatte jemanden aus Ys nicht nur erblickt, sondern gespürt in intimster Umarmung, geschmeckt und erfahren bis in die tiefste Faser seines Seins. Und ebenso wie die versunkene Stadt war er, Amaël, verschwunden und entrückt von dieser Welt. Verloren im Meer vor der Bretagne.
Jean-François schrie seinen Namen in die Stille, doch er war gegangen und kam nicht mehr. Er stand allein im
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