Wolfsmondnacht (German Edition)
Zufall auf einen der Zugänge gestoßen. Es war eine kleine, vergitterte Tür in einem der Hinterhöfe. Wohl nutzte jemand den vorderen Bereich als Keller, doch dahinter befanden sich Stollen, die sehr weit in den Bauch von Paris reichten.
Er fand den Zugang auch nach all der Zeit ohne weitere Schwierigkeiten. Er folgte dem Verlauf des Tunnels und betrat die Höhle, von der zahlreiche Wege abzweigten. Links davon befanden sich verschiedene Steinformationen. Eine davon bot sich ihm an als Bett an, da sie so lang war wie er und relativ eben. Er rollte seine Decke darauf aus, um nicht direkt auf dem Stein liegen zu müssen.
Trotz all der Gesteinsschichten über sich spürte er den Sonnenaufgang. Wie eine Wand aus Feuer drückte er gegen ihn, konnte ihm im Schutz der Dunkelheit jedoch nichts anhaben.
Voller Angst und Neugierde zugleich spürte er, wie sich eine Kälte seiner bemächtigte, die von innen kam. Seine Glieder erlahmten. Die Empfindung kroch weiter durch seinen Leib und erreichte sein Herz, das aufhörte zu schlagen. Sein letzter Atemzug erlosch in der Stille des dunklen Herzens von Paris.
Am Abend erwachte Jean-François, gepeinigt von einem Blutdurst, der unerbittlich in ihm brannte. Er erhob sich von seinem Tageslager und verließ den Steinbruch. Ihm war unwohl bei dem Gedanken, erneut Menschen töten zu müssen, Nacht für Nacht. Es musste eine andere Lösung geben.
So lief er zu einer der Metzgereien an den Ufern des Bièvre. Er hatte Glück, denn der Metzger unterhielt sich gerade mit jemandem vor dem Haus. Jean-François schlich sich durch die Hintertür hinein.
Das Blut war noch nicht weggekippt. Es befand sich in einem Bottich direkt neben der Hintertür. Jean-François fand einen Schöpflöffel, befüllte ihn und führte ihn zu seinem Mund. Das Blut war kalt. Es schmeckte so widerlich, dass er es sogleich wieder erbrach. Kaltes Blut nährte sein Leben nicht. Schnell verließ er die Metzgerei wieder.
Kaum war er draußen, fiel ihn ein Hund an. Jean-François hielt ihn von sich. Knapp schnappten die gewaltigen Kiefer des Tieres von seiner Kehle entfernt zu.
Wie du mir so ich dir , dachte Jean-François und biss zu. Der Hund jaulte auf. Sein Fell fühlte sich ekelhaft an Jean-François’ Mund an. Der Hund wehrte sich, konnte jedoch gegen Jean-François’ Kraft nichts ausrichten. Warum war das Tier so ungewöhnlich aggressiv? War es der Blutgeruch, den Jean-François noch von der Metzgerei an sich hatte, oder spürte es, dass er ein Bluttrinker war, und fühlte sich dadurch bedroht?
Das Tier wand sich in seinem Griff. Bald erschlaffte jedoch sein Leib. Das Blut des Hundes schmeckte anders als das der Menschen. Süßlicher noch, doch zugleich weniger aromatisch. Jean-François ließ von dem Hund ab, bevor er starb. Er eilte davon in den Schatten der Häuser. Als er Schritte hinter sich vernahm, wandte er sich kurz um. Der Metzger stand vor dem Haus und starrte auf das tote Tier.
Jean-François eilte weiter. Sein Durst war noch nicht vollständig erloschen. Ratten gab es in Horden in Paris. Sie waren eine Plage. Drei von ihnen fing er, um sie auszusaugen. Wieder schmeckte das Blut anders, mit einer bitteren Unternote. Ihre Felle rochen seltsam nach Tier und Fett und Müll, nach all den Dingen, mit denen sie in Kontakt gekommen waren. Der Gedanke, sich Nacht für Nacht auf diese Weise zu ernähren, schreckte ihn ab. Dennoch sagte er sich, dass es besser sei, als Menschen zu töten.
Als er zurück in seiner Zuflucht im ehemaligen Bergwerk war, verspürte er ein Grummeln im Magen. War er noch nicht gesättigt? Sein Blick fiel auf eine weitere Ratte. Ein Hitzegefühl machte sich in ihm breit.
Er spürte, wie der Dämon, der Bluttrinker in ihm sich wand. Es war nicht wie eine Besessenheit, sofern er überhaupt den Vergleich dazu hatte, es war, als wäre dieses Wesen und er selbst untrennbar zu einer einzigen Kreatur geworden. Nur der Tod konnte sie voneinander lösen.
Für einen Moment sah er durch die Augen des Dämons, durch Tausende von Augen. Es war faszinierend und erschreckend zugleich. Nicht dass dieses Wesen selbst so viele hätte. Es waren die Augen all der Bluttrinker auf der ganzen Welt, die der Dämon beherrschte und durch die er sah.
Das letzte, was Jean-François spürte, war, wie der Dämon seine Purpurschwingen entfaltete. Ein Luftzug, wie von einem nahen Feuer, fauchte über sein Gesicht. Der Sonnenaufgang!, drang es durch sein Bewusstsein. Dem Feueratem des Sonnenaufgangs
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