Wolfsmondnacht (German Edition)
folgte die Kälte, die seine Glieder erstarren und sein Herz ersterben ließ. Sein Bewusstsein entschwand.
Jean-François erwachte in einem Meer aus Blut. Seine Kleidung hing in Fetzen von seinem Leib. Das Geräusch von fallenden Tropfen hallte in der Stille wider. Es roch nach Blut, Tod und Pferdemist. Als Jean-François sich erhob, spürte er die Toten neben sich. Es waren Dutzende von Leibern. Leichen, zu einem Haufen getürmt. Ihre Kehlen waren zerfetzt.
Mit einem Mal kehrte die Erinnerung zurück, die nicht die seine war. Der Dämon war in ihm aufgestiegen und hatte sich seines Leibes bemächtigt. Zornig war er gewesen wegen des Betruges, denn Tierblut besänftigte ihn nicht. Er forderte Menschenblut und er nahm es sich. Danach zog er sich wieder zurück in jene Untiefe in Jean-François, wo er ruhte und lauerte.
Jean-François fühlte sich ruhelos. Diesmal war es jedoch nicht der Blutdurst, der ihn peinigte. Er hatte mehr Blut getrunken als je zuvor. Noch immer durchflutete es seine Adern und er glaubte, die Restwärme des Lebens darin zu spüren. Die Leiber neben ihm waren kalt, obwohl sie ihm noch nicht lange tot erschienen. Hier im Herzen der Erde war es stets kühl und dunkel. Es war die perfekte Unterkunft für einen Bluttrinker. Nur zu feucht war es hier, denn überall sprossen Pilze. Plötzlich durchdrang Flackerlicht die Finsternis. Jemand kam mit einer Laterne näher.
»Wer ist da?«, fragte der Mann, der in einer Hand die Laterne und in der anderen einen Wassereimer trug. Er setzte den Eimer ab, um nach seinem Kurzmesser zu greifen.
Jean-François sprang lautlos auf.
Der Mann kam näher. Seine bullige Gestalt wirkte bedrohlich im Feuerschein. Aus Augen, die tief in den Höhlen lagen, taxierte er Jean-François.
»Hast es auf meine Champignons abgesehen?«
Der Mann zog also Champignons in den Steinbrüchen. Daher kam der Geruch nach Pferdedung, auf dem sie wuchsen.
Jean-François schüttelte den Kopf. »Keineswegs, Monsieur. Ich habe mich verlaufen.«
»So, verlaufen? Wieso glaube ich dir das nicht?« Der Blick des Mannes glitt an ihm auf und ab. Erst jetzt wurde Jean-François sich gewahr, dass seine Kleidung voll getrockneten Blutes war. Der Mann schien es jedoch glücklicherweise für Schmutz zu halten.
»Ich ernähre mich nicht von Pilzen«, sagte Jean-François und trat einen Schritt in Richtung des Ausgangs, doch der Mann versperrte ihm den Weg.
»Du bist sicher einer dieser Bettler und Diebe. Komm aus deinem Eck gekrochen, damit ich dich besser sehen kann. Dich werde ich der Nachtwache übergeben.« Er trat näher auf Jean-François zu. Der Lichtschein fiel auf ihn und die Leichen.
»Was …?« Der Mann erstarrte. »Was geht hier vor sich?« Er tat einen Schritt zurück.
Jean-François wusste, dass er ihn nicht leben lassen durfte, denn er hatte sein Gesicht zu deutlich gesehen. Er packte den Mann an seinem Wams und entwand ihm das Messer. Klirrend fiel es zu Boden. Der Mann schrie, als Jean-François ihn zu sich hinzog und die Zähne in seinen Hals schlug. Er trank in hastigen Zügen und wunderte sich, dass er noch immer Blut in sich aufnehmen konnte.
Der Dämon schien es zu absorbieren. Er wandelte es um in die Kraft, die Jean-François am Leben hielt und seinen Leib vor dem Verfall bewahrte. Er spürte, wie sie in Strömungen durch ihn hindurchging, in ihn eintrat und wieder hinaus. In irgendeiner Weise war er mit diesem Wesen verbunden und durch es mit allen Bluttrinkern. Es war nicht nur ein Teil von ihm in Jean-François, es war irgendwo dort draußen. Es war real, körperlich, mächtig und uralt.
Jean-François betrachtete den Mann zu seinen Füßen und dann sich selbst. Das Blut begann, auf seiner Haut zu trocknen. Er riss sich die Kleidung vom Leib und nahm den Wassereimer des Mannes. Ein Stück vom Hemd eines seiner Opfer benutzte er als Waschlumpen.
Er schrubbte über seinen Leib, bis kein Tropfen Blut mehr darauf war, doch der Geruch nach altem Tod wollte nicht aus seiner Nase weichen. Er kleidete den Mann aus und zog dessen Sachen über. Bei nächster Gelegenheit würde er sie wechseln. Blutbesudelt oder nackt durch Paris zu laufen erregte doch zu viel Aufsehen. Gerede in der Bevölkerung war das Letzte, was er jetzt brauchte. Die Scheiterhaufen brannten hoch.
Doch dachte er in diesen Stunden an Céleste und an Pamina. Er war nicht mehr wie sie. Er war der Tod, für sie genauso wie für die anderen. Solange er seine Triebe nicht beherrschte, würde er sie nicht
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