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Wolfsmondnacht (German Edition)

Wolfsmondnacht (German Edition)

Titel: Wolfsmondnacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Lynn Morgan
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einsetzenden Regen. Der Geruch feuchter Erde und des Todes drang zu ihm herauf. Ein Schädel lag dort zu seinen Füßen, alt und vergessen, rissig von der Zeit. Jean-François hob ihn auf und strich sachte mit den Fingern darüber. Dieser Tote war nicht einen Bruchteil so alt wie der Mann, der ihn soeben verlassen hatte. Jean-François weinte um den Verlust eines Fremden aus einer Stadt, die seit Jahrtausenden nicht mehr existierte.
     
     

Kapitel 4
     
     
    Blutdurst! Ein entsetzlicher Blutdurst wütete in Jean-François. Er ließ den Totenschädel niederfallen auf das Grab zu seinen Füßen und lief hinaus in die Nacht. Bereits in der Rue de la Lingerie traf er auf einen Mann, der ihn erst bemerkte, als es zu spät war. Jean-François zog ihn in die Umarmung des Todes und strich ihm das talgige Haar beiseite, um seinen Hals der Nacht zu entblößen.
    Wolkenverhangen war der Mond und die Kerzen hinter den Fenstern boten kaum Licht, doch Jean-François sah mehr als je zuvor in seinem Leben. Er erkannte das feine Gespinst der Adern unter der Haut des Mannes. Instinktgetrieben stieß er seine Fangzähne, noch fremdartig in ihrer Länge, in den Hals des Mannes. Blut entströmte ihm, mehr und mehr davon mit jedem Schlag seines Herzens.
    Er gedachte Amaëls Worte und ließ von dem Mann ab, als dessen Herzschlag schwach und unregelmäßig wurde. Er verschloss die Wunde mit seinem Blut. Sterbend sank der Mann hernieder auf den Boden der Gasse, die dunkel war vor Schmutz.
    Jean-François lief weiter. Die roten Nebel des Blutdurstes legten sich. Er fühlte sich elend wegen des Mordes. Es war nicht der Erste, den er tot zurückließ, doch zuvor war es aus Notwehr geschehen. Jemanden vorsätzlich zu töten war etwas vollkommen anderes. Auf einmal erschien ihm die Nacht dunkler, die Gerüche der Stadt unangenehmer. Warum war es ihm nie zuvor in dieser Intensität aufgefallen? Die gesamte Rue de la Lingerie stank nach verfaulenden Leichen.
    Jean-François lief schneller, um von diesem Ort wegzukommen. Zuerst suchte er das Bordell seiner Mutter auf. Estelle saß noch dort und zählte das Geld der letzten Einnahmen. Er wusste, dass sie ein Langmesser hinter dem Tisch verbarg. Sie war eine Meisterin im Umgang mit dieser Waffe und hatte so manchen zahlungsunwilligen Kunden damit überredet, seine Schuld einzulösen. Sie konnte sehr überzeugend sein.
    Niemand anderes als sie selbst hatte Jean-François den Umgang mit dieser Waffe gelehrt. Fünf Jahre alt war er damals gewesen. Dies war eine seiner angenehmsten Kindheitserinnerungen.
    Estelle schenkte ihm ein Zahnlückenlächeln, als sie ihn erblickte. » Bonsoir . Da bist du ja endlich. Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht.«
    »Ich war auf dem Cimetière. Céleste bat mich, eine Rose für sie auf Suzettes Grab zu legen.«
    »Weiß sie denn nichts von den Massengräbern in Paris?«
    » Non . Sie muss es auch nicht wissen. Ihre Großmutter, Mutter und halb Paris vereint in einer Grube. Das ist Gleichheit und Gerechtigkeit!«
    Estelle schüttelte den Kopf. »Du hast seltsame Ansichten.«
    Jean-François verschwand in seiner Kammer. Dort zog er eine seiner Decken vom Bett. Er rollte sie zusammen, um sie sich bequem unter den Arm zu klemmen. Als er den Raum wieder verließ, spürte er den Blick Estelles auf sich ruhen.
    »Was hast du vor?«, fragte sie.
    »Ich werde hier nicht mehr schlafen, Estelle. Sei nicht in Sorge um mich, wenn du mich des Tages nicht erblickst.«
    »Ah, du hast ein Liebchen.« Sie hob gleichgültig die Achseln. »Schlafe mit wem und wo es dir beliebt. Es ist deine Sache.«
    »Danke, Estelle.« Er küsste sie auf beide Wangen und verabschiedete sich.
    Während er die Rue Froit-Mantel entlanglief, frohlockte er darüber, eine Profession zu haben, die er nachts ausüben konnte. Doch war er nicht möglicherweise eine Gefahr für seine Kunden?
    Nachdenklich blickte er zum Horizont. In weniger als einer Stunde ging die Sonne auf. Würde ihr Licht ihn verschlingen oder verbrennen? Amaël hatte nicht gelogen. Er spürte, wie bereits die Dämmerung gegen das Firmament drückte. Es war eine instinktive Wahrnehmung, die sein Verstand kaum ergreifen konnte. Jede Faser seines Leibes wusste um die Gefahr. Was sollte er tun?
    Die Steinbrüche! Dieses unterirdische Geflecht aus Stollen und Höhlen, wo die Steine für den Bau des Louvre, der Bastille und der Notre-Dame herausgeschafft worden waren. Dies war die Lösung, bis er eine bessere fand.
    Vor zwei Jahren war er durch

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