Wolfspfade 6
Werwölfe erschaffen“, beharrte John. „Ich habe die alten unschädlich gemacht.“
„Und das soll ich dir glauben, weil du ja immer so ehrlich warst?“
„Weshalb bist du hier, Henri?“, wiederholte Adam.
„Mein Name lautet jetzt John.“
„Du kannst dich nennen, wie du willst; das ändert nichts daran, wer du bist.“
„Meinst du, das weiß ich nicht?“ Johns Stimme brach beim letzten Wort. „Ich höre sie kreischen. Zu Hunderten und Aberhunderten verfolgen sie mich. Es spielt keine Rolle, dass ich mich verändert habe, sie werden mich niemals in Frieden lassen.“
Ich erinnerte mich an seine Kopfschmerzen, seine Albträume, die vielen Male, die ich ihn im Dunkeln Selbstgespräche hatte führen hören.
„Was meinst du mit verändert?“, fragte ich.
Die beiden Männer wechselten einen Blick, dann senkte John das Kinn. Adam wandte sich mir zu. „Sobald ein Mensch gebissen oder verflucht wurde, ist er von einem Dämon besessen.“
„Ich weiß.“ Zumindest hatte man mir das gesagt, und die Veränderungen, die ich selbst an Sullivan beobachten musste, hatten mich dazu gebracht, es zu glauben.
Ich starrte in Johns Augen und sah vieles in ihnen, manches davon beängstigend, aber nichts davon böse.
„Was ist mit dir passiert?“, flüsterte ich.
„Es gibt da ein Heilmittel.“
„Genau aus dem Grund haben wir Sullivan gefangen genommen“, entgegnete ich, bevor ich mich Adam zuwandte. „Warum wurde John dann nicht geheilt?“
Ich konnte ihn nicht Henri nennen; es ging einfach nicht.
„Da er verflucht und nicht gebissen wurde, wurde der Dämon vertrieben, aber der Drang, sich zu verwandeln und zu töten, blieb bestehen.“
„Werwölfe umzubringen, stillt den Hunger“, erklärte John.
„Was ist mit dem Sicherungssystem in dem Virus?“
„Woher weißt du davon?“, wollte Adam wissen.
„Murphy war geschwätzig.“
Adam verdrehte die Augen. „Ganz was Neues. Also, soweit wir das einschätzen können, bricht dieses Sicherungssystem zusammen, wenn jemand entweder verflucht oder geheilt oder der reguläre Prozess der Werwolf-Transformation in irgendeiner Weise gestört wird. Das ist auch früher schon vorgekommen.“
„Und wieder muss ich dich fragen, warum du so verdammt viel darüber weißt und wer zur Hölle mit ‚wir‘ gemeint ist.“
Adam schüttelte den Kopf. „Das darf ich dir nicht sagen.“
„Weil du mich sonst töten müsstest, oder? Mach mal halblang!“
„Niemand wird dir etwas antun, Anne …“, setzte John an.
„Mit Ausnahme von dir?“
„Das würde ich nie tun.“
„Woher willst du wissen, was du mit Fangzähnen und einem Schwanz alles tun würdest?“
„Ich weiß es eben“, beharrte John. „Das ist Teil der besonderen Veranlagung eines Werwolfs – der Körper eines Wolfs, gepaart mit menschlichem Verstand.“
„Kein Wunder, dass sie so gefährlich sind.“
„Das kann man wohl sagen“, brummte Adam.
Die Vorstellung von einem Monster mit Reißzähnen, Klauen, den bemerkenswerten Fähigkeiten eines Wolfs und der Intelligenz eines Menschen machte mich ganz schummrig.
„Ich kann noch immer nicht glauben, dass das alles real sein soll.“
Mein Blick blieb an einem silbern schimmernden Gegenstand auf meinem Nachttisch haften. Adam hatte den Brieföffner dort abgelegt. Ich schnappte ihn mir und zielte auf Johns Arm.
Der Geruch von verbranntem Haar und Fleisch bewirkte, dass ich die Waffe abrupt fallen ließ. Als sie klirrend zwischen uns auf dem Boden landete, kräuselte sich Rauch nach oben.
John musterte mich ungerührt. „Glaubst du mir nun?“
Ich konnte nicht sprechen, stattdessen starrte ich weiter auf die verbrannte Stelle an seinem Unterarm. „Ich dachte, bei einem Werwolf würden alle Wunden sofort verheilen.“
„Es sei denn, sie wurden mit Silber beigebracht.“
Ich griff nach Johns Arm, drehte seine Handfläche nach oben und inspizierte die dünne weiße Narbe, die sich über sein Handgelenk zog.
31
„Was zur Hölle?“, stieß Adam hervor und griff nun auch nach Johns Arm. „Die hattest du noch nicht, als du nach Montana gegangen bist.“
John schüttelte Adams Finger ab und ging, ohne zu antworten, zum Fenster.
„Wurdest du mit einem Silberdraht gefesselt?“, fragte ich.
„Nein.“ John schaute noch immer in die andere Richtung.
„Du hast versucht, dich mit einem Silbermesser umzubringen“, mutmaßte ich.
„Hast du den Verstand verloren?“ Adam raufte sich die Haare. „Idiotische Frage.“ Er atmete
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