Wolfspfade 6
behaupten können.
„Ich glaube nicht, dass sie noch hier ist.“ Meiner Vermutung nach hatte Katie mittlerweile so viel Abstand wie möglich zwischen sich und New Orleans gebracht.
„Irgendetwas ist anders geworden.“ Sullivan trat nervös von einem Fuß auf den anderen. „Ich muss etwas gesagt oder getan haben, dass dich dazu gebracht hat …“ Sein Blick suchte meinen. „… mich zu hassen.“
Das hatte er, aber das konnte ich ihm nicht auf die Nase binden. Er verdiente das Vergessen, das Elise und die Jägersucher ihm geschenkt hatten.
Sullivan war nun wieder ein guter Mensch, und er würde noch Großes leisten.
„Ich hasse dich nicht“, log ich. „Aber ich muss nach Hause zurückkehren.“
„Es ist wegen Rodolfo“, riet er.
„Ja.“
Er nickte, als hätte er damit gerechnet, dann kam er durch das Zimmer auf mich zu und nahm meine Hand. Ich zuckte zusammen; es ließ sich nicht verhindern.
Warum konnte ich bei Sullivan nicht die gleiche Nachsicht walten lassen wie bei John? Warum konnte ich nicht zwischen der Bestie, die mich verletzt hatte, und dem Mann, der jetzt vor mir stand, unterscheiden? Möglicherweise lag es daran, dass ich John nie als Henri, Sullivan hingegen als Satan erlebt hatte.
Vielleicht war der Grund aber auch der, dass ich John nie völlig vertraut hatte, weil da immer dieses Gefühl gewesen war, dass er etwas vor mir verbarg. Dem Detective hatte ich vertraut; bei ihm hatte ich mich sicher gefühlt. Dass Sullivan – auch wenn es nicht wirklich er gewesen war – sich gegen mich gestellt hatte, war eine verheerende Erfahrung. Ich bezweifelte, dass ich je darüber hinwegkommen würde.
Sullivan ließ meine Hand los, aber er stand für meinen Geschmack noch immer zu nah, deshalb wich ich zurück, bis ich mich außerhalb seiner Reichweite befand.
„Ich war sehr krank“, sagte er. „Es gibt Dinge, an die ich mich nicht erinnere. Ich nehme eine berufliche Auszeit, bis ich mich wieder mehr … wie ich selbst fühle.“
„Das wird dir guttun.“
Für einen kurzen Moment dachte ich darüber nach, ob er seine Suche nach dem Serienmörder aufgegeben hatte, aber ich hielt vorsichtshalber den Mund, da ich nicht wusste, ob Edward dafür gesorgt hatte, dass die Polizei von New Orleans den Fall zu den Akten legte. So wie ich Edward einschätzte, war er dazu durchaus in der Lage.
Unsere Verabschiedung verlief peinlich. Er hätte mich gern umarmt, aber ich wollte das nicht, und er wusste es. Wir schüttelten uns die Hände, und sobald er gegangen war, tat ich das Gleiche.
Zurück in Philadelphia war mein Leben nicht mehr wie zuvor. Wie auch? Es war kein Scherz gewesen, als ich zu King gesagt hatte, dass sich die ganze Welt verändert hatte.
Jetzt wusste ich, dass das Böse hinter jedem lächelnden Gesicht lauern konnte. Die Nächte bargen ein Grauen, das ich mir nur zu leicht ausmalen konnte. Ich hatte es gesehen, berührt, wäre fast selbst zu einem geworden.
Während der ersten Stunde, die ich wieder in der Gesellschaft meiner Eltern verbrachte, erzählte ich so viele Lügen, dass ich den Überblick verlor.
„Die DNA war Katies“, informierten sie mich, kaum dass ich durch die Tür getreten war.
Mir war komplett entfallen, dass wir Proben an das Kriminallabor geschickt hatten.
„Ähm, ja“, stammelte ich. „Das Armband wurde in einem Jazzclub namens Rising Moon gefunden.“
„Katie muss also in New Orleans gewesen sein, nachdem sie von hier verschwand“, folgerte mein Vater.
„Ja.“
Das war sie tatsächlich.
„Dann muss sie am Leben sein.“
Meine Eltern ignorierten beharrlich, was das Blut auf dem Armband bedeuten musste, und ich beschloss, es dabei zu belassen.
„Ganz bestimmt“, log ich.
Katie war nicht am Leben. Nicht wirklich. Sie war noch nicht mal mehr Katie. Da ich das meinen Eltern jedoch nicht sagen konnte, fing ich an, ihnen aus dem Weg zu gehen.
Meine Arbeit ödete mich an. Für meine Freunde galt das Gleiche. Plötzlich passte ich nicht mehr in das Umfeld, von dem ich mein ganzes Leben lang ein Teil gewesen war. Ich verbrachte die meiste Zeit mit Recherchen im Internet, um irgendwo einen Hinweis auf Katie zu finden. Zumindest tat ich das, wenn ich nicht gerade genauso besessen nach einem Hinweis auf John suchte.
Als Edward anrief und mir einen Job anbot, stürzte ich mich auf die Chance.
„Sie werden sowieso nach Ihrer Schwester suchen“, erklärte er. „Warum dann also nicht gleich mit den Mitteln und Möglichkeiten der Jägersucher
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