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Wolfspfade 6

Wolfspfade 6

Titel: Wolfspfade 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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Glühbirne auf Rodolfos erhobene Hand fiel.
    Eine dünne weiße Narbe verlief quer über sein Handgelenk.
    Mein Blick huschte zu seiner linken Hand, die er in das Laken um seine Hüften gekrallt hatte. Ich konnte nicht erkennen, ob es an ihr eine übereinstimmende Narbe gab, aber es spielte auch keine Rolle. Eine war genug, um die Wahrheit zu enthüllen.
    Irgendwann einmal hatte John Rodolfo versucht, sich das Leben zu nehmen.

 
    7
    Plötzlich wollte ich so weit von dem Mann weg sein, wie ich nur konnte. Es gab nicht nur Dinge, die ich nicht über ihn wusste, sondern auch welche, die er nicht über mich wusste. Zum Beispiel, dass ich nicht aus reiner Herzensgüte hier arbeitete. Ich wollte herausfinden, ob im Rising Moon ein Serienmörder herumlief.
    Nervös flackerten meine Augen ein weiteres Mal zu seinem Handgelenk, dann wieder weg. Was hatte ihn zu einem Selbstmordversuch verleitet? Zu viele Morde?
    Zweifelhaft. Serienmörder genossen es zu töten. Sie empfanden keine Reue. Deshalb nannte man sie Serien mörder. Sie töteten wieder und wieder und wieder, bis irgendjemand sie stoppte.
    Ich hatte schon genug Sorgen in meinem Leben. Was mir gerade noch fehlte, war eine Affäre mit einem Mann, der sich nach dem Tod sehnte – auch wenn er küsste wie der Teufel und aussah wie ein Engel. Ich studierte seinen sorgfältig gestutzten Kinnbart und den perfekten, halbnackten Körper.
    Falls es nicht genau andersherum war.
    „Wahrscheinlich hast du recht“, antwortete ich und schob mich in Richtung Tür. „Ganz schlechte Idee. Chef und Untergebene. Das kann nur zu Problemen führen.“
    Eine schwarze Augenbraue wurde über der Sonnenbrille sichtbar. „Da bin ich ja wirklich froh, dass wir einer Meinung sind.“
    Seine Stimme klang kalt und sarkastisch. Hätte ich nicht eben erst intensive Küsse mit dem Mann ausgetauscht, würde ich ihn für absolut gefühllos gehalten haben.
    Aber das hatte ich nun mal, und er war nicht gefühllos. Ich hatte die Verzweiflung in seiner Umarmung gespürt, das Verlangen auf seiner Zunge geschmeckt. Er hatte mich genauso gewollt wie ich ihn und sich ebenso sehr wie ich davor gefürchtet. Jemanden ohne den geringsten Grund so heftig zu begehren, war einfach nicht normal.
    Wer war also verrückter? Er? Oder ich?
    „Wirst du klarkommen?“, fragte ich ihn.
    „Nein.“
    Es war eine reine Höflichkeitsfloskel gewesen. So wie man jemanden zur Begrüßung fragt: „Na, wie geht’s?“ Man will es eigentlich gar nicht wissen.
    „Vergiss es einfach.“ Rodolfo gestikulierte Richtung Tür. „Geh jetzt.“
    Das war eher die Antwort, mit der ich gerechnet hatte, trotzdem zögerte ich.
    „Ich bin schon seit sehr langer Zeit allein, chica “, setzte er sanft hinzu. „Und so soll es auch bleiben.“
    Ich stellte mir vor, wie er jahrein, jahraus einsam im Dunkeln vor sich hin grübelte. Kein Wunder, dass er mit sich selbst redete.
    „Ich muss noch eine Weile schlafen.“ Er legte die Finger an seine Stirn.
    Wie konnte ich seine Migräne vergessen haben? Ich schätze, bis zur Besinnungslosigkeit geküsst zu werden, wäre eine gute Entschuldigung – oder vielleicht auch eine schlechte.
    „Ich könnte dir ein paar Aspirin bringen.“
    „Das Einzige, was hilft, ist Schlaf.“ Rodolfo kehrte zum Bett zurück. „Schalt das Licht aus, und mach die Tür hinter dir zu.“
    Er streckte sich aus, nahm die Brille ab und legte sie ohne erkennbare Unbeholfenheit auf den Nachttisch; seine Augen blieben dabei geschlossen.
    Ich war entlassen. Mit leiser Verärgerung tat ich, worum er mich gebeten hatte. Oder sollte ich sagen, was er mir befohlen hatte? Es gab Momente, in denen er mich an einen Gutsherrn erinnerte, der seine Diener herumkommandiert und erwartet, dass sie ihm ohne Murren gehorchten.
    Meine Armbanduhr zeigte halb sechs Uhr morgens. Ich war hundemüde. Vielleicht konnte ich ja selbst noch ein paar Stunden Schlaf bekommen.
    Als ich zu meinem Zimmer eilte, sprang knarrend eine der Türen, die den Korridor säumten, auf, und ich blieb stehen. Angeblich war ja sonst niemand in dem Gebäude. Zumindest hatte ich das gedacht.
    Ich trat näher. „Hallo?“
    Niemand antwortete. Nun, hatte ich tatsächlich erwartet, dass sich ein Eindringling zu Wort melden und sagen würde: Ich habe mich hier versteckt, weil ich dich umbringen wollte, aber jetzt hast du mich erwischt, also Schwamm drüber ?
    Noch bevor ich mir der Hirnrissigkeit meines Handelns bewusst wurde, hatte ich die Tür schon bis zur Wand

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