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Wolfspfade 6

Wolfspfade 6

Titel: Wolfspfade 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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Hosenbein nach oben zu schieben und den Brieföffner aus dem Klebeband zu lösen.
    Eine Waffe am Körper zu verstecken, war wirklich eine nervenaufreibende Sache.
    Von John fehlte jede Spur, aber das war ja nichts Neues. Er würde sich entweder blicken lassen oder nicht. Heute Abend würde auch ohne seine Anwesenheit Hochbetrieb herrschen.
    Ich konnte mich kaum zwischen den vielen Menschen bewegen, die mir, wann immer ich vorbeikam, Getränkebestellungen zuriefen, wobei ich ständig neu entscheiden musste, wen ich erhörte.
    Trotzdem schaffte ich es, mich den anderen Kellnerinnen sowie dem neuen Barkeeper, die sich allesamt als Importe aus Biloxi entpuppten, vorzustellen. Sie kamen jedes Jahr anlässlich des Mardi Gras in die Stadt, arbeiteten eine einzige Nacht und kehrten anschließend um mehrere Hundert Dollar reicher nach Hause zurück.
    Um während der langen Nachtschicht, die uns bevorstand, so frisch wie möglich zu bleiben, verabredeten wir Kellnerinnen, dass jede Stunde eine von uns fünfzehn Minuten Pause machen durfte, sodass wir uns zumindest alle drei Stunden kurz ausruhen konnten. Besser als gar nichts.
    Als die Reihe an mir war, ging ich nach draußen. An diesem Abend war selbst die Seitengasse voller Partygänger, die von einer Bar zur nächsten zogen oder sich, Cocktails in den Händen, zu kleinen Gruppen zusammenschlossen, um dem musikalischen Potpourri zu lauschen, das aus den Türen und Fenstern sämtlicher Clubs in der Straße schallte.
    Überall tanzten Menschen; sie sangen, sie lachten. Ich ließ den Blick über das fröhliche Gewimmel schweifen und musste unwillkürlich lächeln.
    Mein Lächeln gefror, als ich eine Frau entdeckte, die ein Stück abseits von allen anderen stand. Ihre Maske verbarg den Großteil ihres Gesichts, aber trotz einer Entfernung von mehreren Metern konnte ich ihre Augen sehen. Sie waren gleichzeitig vertraut und vollkommen fremd.
    „Katie?“, wisperte ich.
    Mein Herz schlug zu schnell; ich bekam kaum Luft. Aus Angst, dass sie im Bruchteil einer Sekunde verschwinden könnte, wagte ich nicht zu blinzeln.
    Mir wurde erst bewusst, dass ich die Treppe hinabgestiegen und auf sie zugegangen war, als sie den Rückzug antrat. Ich blieb stehen; sie tat das Gleiche.
    War das wirklich Katie? Ich war mir nicht sicher. Meine Schwester hätte niemals einen solch kurzen Rock, so hohe Absätze oder eine derart tief ausgeschnittene Bluse getragen. Die dunklen Warzenhöfe ihrer Brüste zeichneten sich deutlich unter dem hauchdünnen weißen Stoff ab.
    Ihre Lippen waren mit einem Besorg’s-mir-Rot bemalt, das einen krassen Kontrast zu der Blässe ihrer Haut und dem satten Violett ihrer Maske bildete.
    Wenn es Katie war, warum sprach sie dann nicht mit mir? Warum fiel sie mir nicht in die Arme? Warum verhielt sie sich nicht so, wie es eine längst verloren geglaubte Schwester tun sollte?
    Die Frau fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und grinste. Der Gesichtausdruck erinnerte mich kein bisschen an meine kleine Schwester; er erinnerte mich an einige der Frauen, die auf den Tresen in der Bourbon Street tanzten.
    Als sie sich gerade umdrehen und weggehen wollte, rannte ich zu ihr und packte ihr Handgelenk. Aber anstatt sich loszureißen, wie ich es erwartet hatte, blieb sie reglos stehen und starrte auf meine Finger, die ihren Arm umklammerten.
    Über ihr Handgelenk zog sich eine lange Narbe, so als wäre sie gefesselt gewesen und hätte stundenlang, tagelang, wochenlang versucht, sich zu befreien. Bevor ich sie fragen konnte, was geschehen war, schüttelte sie meine Hand ab und tauchte blitzschnell im Gewühl unter. Meine Pause war vorbei, trotzdem folgte ich ihr.
    Behände bewegte sie sich durch die Menge; wann immer ich das Gleiche versuchte, wurde jeder Durchschlupf, den ich gesehen hatte, versperrt, bekamen alle gut gelaunten Leute plötzlich schlechte Laune. Meine gemurmelten Entschuldigungen stießen meist auf taube Ohren.
    Trotzdem wollte ich nicht aufgeben. Ich konnte es selbst dann nicht, als sich das Gedränge auflockerte, wir die Gefilde der Musik und des Lachens verließen und in eine wesentlich schwermütigere, dunklere und definitiv gefährlichere Gegend kamen.
    Zuerst glaubte ich, in einem Viertel gelandet zu sein, wo Katrina besonders schlimm gewütet hatte. Die verwitterten Häuser rochen nach Schimmel, und trotz der warmen Brise war die Luft von einer feuchten Kühle durchdrungen. Der Mond spiegelte sich glitzernd in den Pfützen wider, die sich hier und da gesammelt

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