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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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mindestens ein Dutzend -, die von Norden her auf sie zuritten. Sie trugen Masken. Einer von ihnen war bereits an dem Salonwagen angelangt. Er hatte seinen Gewehrlauf durch das Fenster gestoßen. »Scheiße!«, fluchte Teddy. »Zugräuber!«
    »Komm und hilf mir, die Münzen aufzusammeln!«, schrie Claggart ihn an. »Vielleicht können wir abspringen, bevor sie den Zug in ihre Hand bekommen. Ich hab keine Lust, mein schwer verdientes Geld einer Bande von Ganoven zu überlassen!«
    Noch ein Schuss. Teddy sah, wie Claggart sich schreiend an den Arm fasste. Blut spritzte über das Gold. »Ein verdammt gefährlicher Beruf!«, schnaufte er und fiel zu Boden. Sein Kopf knallte gegen das Bein eines Lehnsessels. Teddy kroch zu ihm hinüber und versuchte, ihn wach zu schütteln. Der Reiter ritt immer noch neben dem zerborstenen Fenster. Seine Augen verfolgten das Geschehen durch die schwarze Maske, die im Wind flatterte. Er schien gleich durchs Fenster springen zu wollen -
    »Scheiße! Ich mach’ mich aus dem Staub«, beschloss Teddy und lief zum Ausgang.
    Im nächsten Wagen kreischten die Passagiere panisch und krochen wie Schildkröten auf dem Boden herum. Ein Kind weinte. Teddy schob sich zwischen zwei Frauen durch, die jammernd die Hände rangen. Plötzlich sah er Johnny Kindred am anderen Ende des Wagens stehen.
    Er schien überhaupt keine Angst zu haben. Er schaute nur zu Teddy herüber und machte ihm ein Zeichen. Teddy musste sich zu ihm durchkämpfen. Johnny sagte: »Der Graf möchte, dass wir uns in seinem Wagen versammeln. Ich glaube nicht, dass ich Fremde mitbringen soll, aber du bist mein Freund. Ich will nicht … allein … mit ihnen zusammen sein.« Teddy musste sich anstrengen, um ihn zu verstehen. Sie gingen nach draußen. Klopften gegen die Tür zum nächsten Wagen. Sie sahen, wie sich die verängstigten Passagiere gegen das Glas stemmten.

    »Gottverdammt, lasst uns rein!«, schrie Teddy. Der andere Junge stand reglos, als ginge ihn das gar nichts an. »Hilf mir, dieses Ding zu öffnen.«
    Sie traten über die Kupplung, die unter ihnen stöhnte. Funken flogen unter ihren Füßen. Teddy hämmerte mit blanken Fäusten gegen das Glas. Es gab nach. Er fühlte die Schmerzen nicht, aber er sah das Blut auf seinen Händen. Noch drei oder vier Wagen.
    »Mach schnell, Teddy!«, bat Johnny lächelnd.
    Er schaute auf und sah, wie jemand von Dach zu Dach sprang. In seinen Ohren gellten Schüsse. Sie zwängten sich in den Wagen und schoben sich durch die Menge, ohne sich umzusehen.

9
    Die Sandhügel von Nebraska
    In derselben Nacht
     
    »Der Junge, Speranza!«, flüsterte der Graf drängend und rüttelte sie wach. »Sie müssen ihn finden!«
    Im Privatwagen fanden sich langsam alle Mitglieder der Reisegesellschaft ein. Sie waren vollkommen desorientiert. Schüsse - ängstliche Schreie aus den anderen Waggons - ein Angriff - von wem? Warum? Die Neuankömmlinge brachten Kerosinlampen, die den Raum in unruhiges flackerndes Licht tauchten. Sie quetschten sich in das Abteil; drei oder vier hockten auf dem Bett, wo sie sich vor wenigen Stunden Hartmuts ungestümer Leidenschaft hingegeben hatte. »Johnny!«, rief sie. Keine Antwort. Wohin konnte der Junge verschwunden sein? Ausgerechnet jetzt: »Ich suche nach ihm«, antwortete sie.
    »Ja. Das müssen Sie.« Plötzlich konnte sie im Gesicht des Grafen keinerlei Gefühl für sie entdeckten, nur für den Jungen,
in den er solche große Hoffnungen setzte. Sie unterdrückte die Eifersucht und verließ den Wagen, um nach ihrem Schützling zu suchen.
    Dritte Klasse: Die Sitze standen in Flammen. Ein Kind brüllte. Die Augen der Mutter waren ausgeschossen worden. Sie hörte Schritte über sich, auf dem Dach. Frauen mit angstgeweiteten Augen versteckten sich unter dem Stroh. Speranza eilte weiter.
    Ein Salonwagen. Sie erkannte Cordwainer Claggart. Er war verwundet, grabschte nach blutigen Goldmünzen, die zwischen Glassplittern auf dem Boden verstreut lagen. Ein Mann mit einem Gewehr kletterte durchs Fenster herein. Sie bewegte sich wie ein Automat, ließ ihre Angst nicht hochkommen und eilte weiter.
    Die zweite Klasse. Zwei tote Goldgräber waren vor ein Fenster gelegt worden; Männer mit Winchestern knieten hinter ihnen, benutzten sie als Schild, feuerten in die Dunkelheit. Hufschläge. »Johnny! Johnny!«
    Im Gang tanzte ein alter Indianer. Er sang mit pfeifender, hoher Stimme, und er schwenkte seine Arme wie wild. »Haben Sie einen Jungen gesehen?«, rief sie ihm zu. »Einen

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