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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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intimsten Stellen berührt hast, obwohl du eine wilde, abartige Leidenschaft aus mir herausgepresst hast. Ich bin überzählig, eine Frau, die zu viel weiß - nicht vertrauenswürdig.
    Sie schaute Teddy an. Sie beide verband etwas. Nicht nur Johnny, sondern die Tatsache, dass sie beide Menschen waren - nicht so ein Wesen wie der Graf.
    Lärm von oben. Eine Männerstimme: »Ja, leck mich! Geiseln!« Jemand kletterte die Leiter herunter. Der Graf riss sie ins Wageninnere. Johnny folgte. Er hielt Teddy fest an der Hand. Die Tür schlug zu. Speranza drehte sich um und erblickte ein maskiertes Gesicht hinter dem Glas. Sie schrie auf.
     
    Teddy kannte den schmalen Gang, durch den man von hier in den nächsten Wagen gelangen konnte, aber er war noch nie im Privatabteil des Grafen gewesen. Die Möbel waren aus Samt und Plüsch. Gemälde in Goldrahmen hingen an der Wand. Eine Trennwand teilte den Salon vom Schlafgemach ab, wo er ein Himmelbett sehen konnte, auf dessen Vorhängen ein altertümliches Wappen prangte.
    Er hatte kaum Zeit, all dies in sich aufzunehmen, weil sich im Wagen die exzentrischste Gesellschaft versammelt hatte, die ihm je begegnet war. Einige kannte er bereits vom Pokerspiel: den Astrologen mit seinem Turban, die Baronin, den Pater; aber noch andere waren hier. Ein kahlköpfiger alter Mann mit einem Elfenbeinstock funkelte ihn böse an. Und alle waren höchst elegant gekleidet. Sie hatten Geld, so viel stand fest. Aber vielleicht waren sie alle wie Johnny Kindred vollkommen übergeschnappt. Vielleicht könnte er ein paar von Claggarts Tricks an ihnen ausprobieren. Wenn einer von ihnen diese Nacht überlebte. Er wich Johnny nicht von der Seite. Das hier war sein Revier.

    Aber diese Erzieherin -
    Sie hatte ihn vorhin so komisch angesehen, draußen - als wollte sie ihm etwas sagen. Er würde sich mit ihr beschäftigen müssen.
    Sie unterhielten sich leise in einer fremden Sprache. Sie musterten ihn, fast als - wollten sie ihn fressen. Er fühlte sich unwohl. Er blieb immer in Johnnys Nähe, der sich hier zu Hause zu fühlen schien.
    Sie hörten ein lautes Knirschen. »Hinter uns!«, rief jemand. Alle drängten sich ins Schlafabteil. Teddy kannte dieses knirschende, klappernde Geräusch nur zu gut. Jemand hatte die hinteren Waggons abgekoppelt. Er schaute durch das kleine Fenster. Der Abstand wurde immer größer. Reiter galoppierten auf den Schienen, ihnen nach. Maskierte Männer sprangen von ihren Pferden auf den Wagen. Kletterten die Leiter hoch. Schritte oben: tapp tapp tapp. Die Erzieherin legte Johnny die Hand über die Augen, aber er schob sie beiseite. Dann wieder das Geräusch des Abkoppelns. Die Räder kreischten, als der Wagen langsamer wurde. Die Baronin zeterte wie eine Wahnsinnige. Der Graf stand unbewegt. Pater Alexandros murmelte etwas auf Griechisch. Teddy rutschte aus. Stürzte auf Speranza und Johnny. Die drei fielen in einen unförmigen Samtsessel. Sie wurden langsamer, langsamer - während der vordere Teil des Zuges weiterraste.
    Verdammte Geldsäcke! Warum mussten sie auch in dicken Privatwaggons voller protziger Möbel reisen? Kein Wunder, dass sich die Räuber ausgerechnet diesen Wagen ausgesucht hatten. Er hörte, wie Eisen auf Eisen traf, als die Bremse angezogen wurde.
    Sie hielten an.
    Ein Kopf tauchte im Abteil auf. »Raus! Hände hoch! Alle! Und einer nach dem anderen!« Eine grobe Stimme.
    Er folgte den anderen nach draußen.
    Es waren etwa ein Dutzend bewaffnete Männer zu Fuß und
einige Berittene. Alle waren schwarz gekleidet. Die Pferde waren dunkel. Auch die Masken waren schwarz, und die Hüte hatten sie tief ins Gesicht gezogen. Sie sahen furchterregend aus. Aber Teddy wusste, dass er versuchen musste, sie aus dieser Klemme zu befreien. Diese verdammten Ausländer machten ja nicht mal den Mund auf - sie standen wie die Schafe herum. Vielleicht kapierten sie überhaupt nicht, was hier vorging. Zum Teufel, sie schienen nicht mal Angst zu haben.
    Teddy rief: »Da hinten ist viel mehr zu holen!« Er deutete mit dem Daumen auf den Zug, der Richtung Westen verschwand. »Ein paar Pokerspieler haben mehr als tausend Dollar in Gold im Salonwagen liegen gelassen. Es liegt da einfach auf dem Boden rum. Warum lasst ihr uns nicht in Ruhe und holt es euch?«
    »Halt’s Maul!« Ein Pistolenknauf traf ihn ins Gesicht. Er stolperte rückwärts. Blut in den Augen. Er sah zu den anderen, die ihn halb ungläubig, halb verächtlich anschauten.
    Das ist also der Dank, dachte er bitter. Jetzt

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