Wolfsruf
bereits begonnen, den Fluss zu durchwaten, um die Ursache des Heulens zu finden.
Johnny Kindred war nicht mit Teddy zusammen. Das Pokerspiel interessierte ihn nicht, Teddy dagegen war so ins Zuschauen versunken, dass er kein Wort mit dem kleineren Jungen wechselte. Irgendetwas war zwischen ihnen vorgefallen, aber Johnny erinnerte sich nur daran, dass er plötzlich nackt auf dem Dach des Aussichtswaggons gestanden hatte. Er wusste, dass Jonas etwas angestellt hatte, aber Jonas verriet ihm nichts, und die anderen verloren sich nur in sonderbaren Andeutungen.
Johnny verließ den Salonwagen und machte sich auf den Weg zum Ende des Zuges, in Richtung der Zweiten-Klasse-Waggons. Hier lagen schnarchende Männer und Frauen im Gang, Kopf und Glieder in unnatürlichen Positionen verrenkt.
Der Indianer saß immer noch regungslos und mit offenen Augen da und starrte auf die Felder. Obwohl sich die Menschen im Wagen drängten, war der Platz neben ihm leer geblieben; als würden sich die anderen vor ihm ekeln oder vielleicht fürchten. Die Luft stank schwer nach Schweiß und Fürzen, aber in seiner Nähe schien sie fast zu duften - nach Blumen, die nur im Mondschein blühten.
Johnny sagte sehr leise zu ihm: »Ich habe die Feder weggetan, die Sie mir gegeben haben, Sir. Sie liegt in einer Zigarrenkiste, die mir der Graf geschenkt hat. Sie sind ein sehr netter alter Herr, finde ich. Obwohl die Baronin von Dittersdorf behauptet, dass alle Indianer Wilde sind.« Der Indianer antwortete nicht; er schien Johnny überhaupt nicht gehört zu haben. »Sind Sie wirklich ein Wilder, Sir?«
Jonas flüsterte in seinem Geist: »Ich hab’s dir doch gesagt. Er spricht nur zu mir, du dummes Kind. Ich spreche die Sprache der Tiere. Rieche meine Losung! Ich bin der König!«
Der Indianer schwieg lange und begann dann unvermittelt zu sprechen: »Du bist wie die Splitter eines Wesens. Du bist
zerbrochen, aus dem großen Kreis ausgestoßen. Aber der Wolf ist vollkommen in dir, und der Mensch ist auch vollkommen in dir.« Er hatte die Lippen nicht bewegt. Die Worte waren kleine Zuckungen in seinem Gesicht, Gerüche, kurze Handbewegungen.
In seinem Geist protestierte Jonas wütend: »Er lügt! Ich bin die einzig wahre Person in diesem Körper, nur ich bin wirklich Mensch und Wolf. Versuch bloß nicht, mir was anderes weiszumachen, kleiner Johnnyboy.«
Und Johnny antwortete: »Ich verstehe ihn auch ohne deine Hilfe, Jonas. Ich kann ihn verstehen, wie du ihn verstehst!«
»Dann verwandle dich! Transformiere! Du kannst es nicht. Ich wüte, ich brenne, ich brülle, aber wenn du herauskommst, dann bist du immer nur ein heulendes winselndes kleines Baby.«
Johnny schaute den Indianer wieder an, hoffte, dass er noch etwas sagen würde. Aber er hörte nur ein kehliges Summen. Es war wieder dieses Lied, der Shungmanitu olowan.
Johnny versuchte, die seltsamen Tonfolgen nachzuahmen. Aber er schaffte es nicht, die flatternden Töne, die der Indianer in seiner Kehle fabrizierte, zu imitieren. Plötzlich drehte sich der Indianer um, schaute ihn an und lachte. Johnny verzog sich, halb beschämt, halb stolz.
Sie spürte haarige Hände an ihren Schultern rütteln. »Wir müssen uns bereit machen!«, sagte der Graf. »Etwas Aufregendes wird gleich geschehen. Wir müssen den Jungen finden.«
Sie rieb sich die Augen.
»Ich habe es gewittert«, sagte er.
Sie sah seine Augen im Widerschein des Holzofens glühen.
Teddy verharrte im Schatten, wo Claggart ihn nicht sehen konnte. Er war in das Geheimnis des geheimen Kartenverstecks eingeweiht. Jetzt wollte er sehen, wie Claggart es einsetzte. Die
Baronin von Dittersdorf und Chandraputra beteiligten sich ebenfalls am Spiel; die Baronin rauchte eine dieser maschinengerollten Zigaretten, die aus Europa kamen. Ein kleiner Negerjunge polierte die Fingernägel an der linken Hand des Inders. Als Vierter beteiligte sich der griechische Priester am Spiel, der ebenfalls zur Gesellschaft des Grafen zu gehören schien.
»Eine äußerst interessante Darbietung, diese Büffeljagd«, sagte Chandraputra soeben. »Dieser Buffalo Bill ist ein hervorragender Reiter. In Indien würde er mit Sicherheit im britischen Country Club Polo spielen, meinen Sie nicht auch? Ich erhöhe um fünfzig Dollar, wenn Sie gestatten.«
Noch mehr Gold wurde auf den Tisch geladen. Teddys Augen wurden größer.
»Pah!«, widersprach die Baronin und nahm einen Schluck Champagner. »Ich möchte sehen und erhöhe um, sagen wir, noch einmal
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