Wolfsruf
bringen sie mich um, und ich hab noch nicht einmal meinen Pa gefunden.
»Los jetzt. Einer hinter dem anderen.«
Sie wandten sich nach Norden, von den Geleisen weg.
Und marschierten. Ohne jeden Laut. Die Pferde wieherten, die Banditen bellten von Zeit zu Zeit einen Befehl, aber die Ausländer marschierten ohne ein Wort, fast wie Nachttiere.
Eine Explosion hinter ihnen. Feuer färbte den Himmel. Er schaute sich nicht um; niemand tat das.
Die Felder waren schwarz und gold im Widerschein des Feuers. Ein leichter, heißer Wind wehte von hinten, roch nach verbranntem Gras. Und Tausende von Sternen. Sie marschierten weiter, bis das Zischen des Holzes und das Krachen des herabfallenden Metalls nicht mehr zu hören war.
Sie marschierten eine Stunde, zwei Stunden, drei Stunden. Keiner schien müde zu werden. Außer der Erzieherin. Nur ihre Schritte konnte er hören, das leise Knistern ihrer Schuhe auf dem Gras.
Jetzt konnte er die Umrisse niedriger Hügel am Horizont ausmachen. Es waren die Sandhills. Kalkfelsen leuchteten im Mondlicht. Ein paar Bäume standen daneben, die ersten, seit sie die Geleise verlassen hatten. In ihrer Nähe warteten Planwagen, Lagerfeuer und Zelte.
Andere Reiter näherten sich ihnen.
Teddy musste einfach sprechen, obwohl sein Kopf immer noch von dem letzten Schlag schmerzte. Er sagte zu der Erzieherin: » Mich werden sie wohl kaum als Geisel nehmen, Madam. Für mich kriegen sie nicht einmal zwei Pence.«
»Etwas Seltsames geht hier vor«, antwortete Speranza.
»Ihre Freunde benehmen sich ziemlich komisch«, bemerkte Teddy. »Fast als wären sie keine Menschen.«
»Sie sind keine Menschen«, sagte sie. »Sie sind Werwölfe.«
Sie wusste, wie albern das klingen musste. Aber der Junge schien gar nicht überrascht zu sein. Als hätte sie bloß seine Vermutung bestätigt.
Sie hatte bereits während des Angriffs Verdacht geschöpft. Denn die Mitglieder des Lykanthropenvereins hatten überhaupt keine Angst gezeigt; sie hatten einfach abgewartet. Es überraschte sie nicht, dass ihnen das Gemetzel im Zug gleichgültig gewesen war. Aber wenn das gewöhnliche Räuber gewesen wären, dann hätten die Wölfe ihnen bestimmt einen erbitterten Kampf geliefert und sich nicht so ohne Weiteres gefangen nehmen lassen.
»Bleib immer bei mir, Teddy«, sagte sie. So viel war sie ihm schuldig. Er war auch ein Mensch, den Johnny in seine Welt gezerrt hatte. Johnny brauchte Menschen, um zu verhindern, dass er für ewig von Jonas Kay unterdrückt würde.
Sie hielten an. Ihre Bewacher stiegen ab und schoben sich die Masken vom Gesicht. Sie nahmen Habtachtstellung ein und warteten auf ein Signal. Der Graf lächelte. Die Reiter, die jetzt auf sie zukamen, trugen Fackeln; andere folgten ihnen zu Fuß.
Dr. Szymanowski wandte sich an die Gemeinschaft. Seit dem Beginn ihrer Reise hatte er kaum mehr als ein oder zwei zusammenhängende Sätze gesprochen. »Es war eine hervorragende Idee, Exzellenz. Der Überfall, das Abkoppeln, die Explosion des Pullmann. Jedermann wird annehmen, dass wir von den Räubern verschleppt und getötet wurden.«
»Und die Weiterreise?«, fragte Chandraputra. »Wie lange wird sie dauern? Wir haben nur noch ein paar Tage bis … zur Transformation, und wir brauchen etwas zu essen, das steht fest.«
Ein Bandit ergriff das Wort: »Keine Sorge, ehrwürdige Herrschaften«, sagte er. »Im Norden gibt es Vorräte genug, auf dem Weg zum Lagerplatz … ein ganzes Indianerdorf erwartet Sie!«
»Was soll das?«, flüsterte Teddy.
»Später«, erwiderte Speranza. Sie konnte ihm nicht alles auf einmal verraten. Und sie musste ihm Schutz verschaffen - noch vor der Vollmondnacht.
Unter den Reitern, die sich ihnen näherten, ritt jemand im Damensattel. Eine rot gekleidete Frau. Ein Schleier verhüllte ihr Gesicht. Ihre Röcke schleiften beinahe am Boden, und sie hob ihre Arme in einer galanten Willkommensgeste.
Plötzlich fielen alle Mitglieder des Lykanthropenvereins, alle außer dem Grafen, auf die Knie. Und beobachteten sie bewundernd - und lüstern, ergänzte Speranza in Gedanken. Sie wusste, wer diese Frau war. Sie hatte diesen Augenblick gefürchtet, seit sie von ihrer Existenz erfahren hatte. Ist dies die wahre Madonna der Wölfe, und bin ich nur ein namenloses Ventil, um die Gelüste des Grafen zu stillen? Wenn ich wenigstens ihre Augen sehen könnte -
Aber sie hob den Schleier kein einziges Mal.
Trotzdem hatte Speranza sie auf Fotografien gesehen und erkannte sie an ihrer Haltung. Es
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