Wolfsruf
hasste!
Sie trug ein Tablett mit Gläsern voller Blutegel, einer Salbe aus einem Eisenhutdestillat in Gummi Arabicum, einer Jodtinktur und einer Kanne frisch aufgebrühten Tees, den sie mit
einem kräftigen Schuss Wodka versetzt hatte. Sie ließ sich auf seiner Bettkante nieder und blickte in sein verzerrtes Gesicht. Wie sie ihn auch hasste; sie versuchte, es nicht zu empfinden, aber sie wusste, dass er ihren Hass riechen konnte, denn er knurrte schwach.
»Du führst dich auf, als wäre ich schon tot«, beschwerte er sich. »Ich kann die Uhr in deinem Kopf ticken hören. Du denkst schon an meinen Nachfolger …«
»Hartmut, Hartmut, wie kannst du nur so grausam zu mir sein?« Sie strich über seine Braue, über die menschlichen Falten, aus denen drahtige Haare sprossen. Aber natürlich wusste sie, dass er sie durchschaute.
Der Graf zuckte, als sie seine Stirn streichelte. Sein Gesicht war sehr heiß. Sie lächelte ihn an, versuchte, sich an damals zu erinnern, als er sie umworben hatte. Mit der anderen Hand begann sie, sein seidenes Nachthemd zu öffnen. »Liebst du mich nicht immer noch?«, hauchte sie ihm zu. Und legte ihre Hand auf seine Brust. »Nun sind wir beide verwundet, entstellt, Wesen der Zwischenwelt.« Ihre Hand erforschte seinen fiebernden Körper. Überall wuchsen Büschel von Wolfsfell. »So tief bist du gefallen … so anders bist du als der Hartmut, der mir den Kopf verdrehte und mich dazu brachte, mein Menschsein aufzugeben!« Und sie küsste ihn dreimal zärtlich auf die Augenbrauen, wohl wissend, dass ihre Küsse ihn schmerzten, denn das Fleisch war vernarbt.
»Du glaubst, dass ich sterben werde, nicht wahr?«, fragte er.
Sie lächelte wieder und stieg über ihn und wiegte sich langsam vor und zurück. »Ich werde dich in mir aufnehmen«, versprach sie ihm, »und du wirst dich nicht befreien können, und ich werde dein Kind tragen.«
»Es ist drei Monate nach der Zeit«, widersprach Hartmut. Denn die Wölfe empfangen nur im April.
»Sind wir Sklaven der Natur oder ihre Herren?«, fragte Natalia, während sie die Schnüre löste, die ihr Fischbeinkorsett
zusammenhielten, und den Schleier auf den Boden warf, unter dem sie den Wolfspelzflecken auf ihrer Wange verbarg. Mit geübter Hand schob sie sein Nachthemd hoch. Sie fühlte seinen Penis unter der Seide und der Baumwolle pulsieren, und sie wusste, dass er ihr in seinem geschwächten Zustand keinen Widerstand entgegensetzen konnte. Sie registrierte sein Begehren durch den säuerlichen Geruch von Krankheit und Medizin, der im Zimmer hing.
»Speranza«, wisperte der Graf kaum hörbar.
Sie schlug ihm ins Gesicht. Und zerrte an seinem Nachthemd, wütend, heulend, schnüffelte in der Spalte zwischen seinen Hinterbacken. »Du wagst es, mich bei ihrem Namen zu nennen! Ich bin die Wolfskönigin, ich, Natalia Petrowna Stravinskaya.« Sie dachte: Ich darf kein Vergnügen dabei empfinden! Ich tue dies nur um der Macht willen, sonst wegen nichts. Wenn ich mit den Welpen des Leitwolfs trächtig bin, wird niemand infrage stellen, dass ich die Leitwölfin bin, und wenn Hartmut stirbt, werde ich unter den Wölfen wählen können - und ich werde herrschen, bis mein Sohn alt genug ist.
Sie versuchte, keine Leidenschaft, kein Vergnügen zu empfinden. Aber das Aroma von Lust hing in ihren Nüstern. Er brachte sie in Hitze, obwohl jetzt gar nicht die Jahreszeit dazu war. Ich darf ihm meine Liebe nicht zeigen, dachte sie. Ich werde sein Kind voller Zorn und Hass empfangen! Aber als er in sie eindrang, als sie auf ihm ritt und sich festklammerte wie ein Rodeo-Reiter, da begann sie ihn zu kneifen, zu quetschen, lauthals zu lachen, sich über ihn lustig zu machen, denn er war jetzt Sklave seines Instinkts, unfähig, klar zu denken -
Es klopfte an der Tür.
»Euer Gnaden … Sie haben Besuch … sehr dringend …«
Diese verdammten Diener! Begriffen sie nicht? Der Graf und sie waren ineinander verkeilt, sie konnten jetzt niemanden empfangen.
»Du Trottel! Du indiskreter Kretin!«, kreischte sie.
Der Lakai war ins Zimmer getreten. Aber er verbeugte sich ausschließlich vor dem Grafen, gab sich den Anschein, als würde er Natalia überhaupt nicht wahrnehmen. Eigentlich blickte er sie beide kaum an; er war lange genug im Dienst des Grafen, um absolute Diskretion gelernt zu haben. Aber er glitt an eine Truhe und holte einen Quilt heraus - eine jener primitiven, aber warmen amerikanischen Decken -, den er geschickt über dem Paar arrangierte, sodass Natalia
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