Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
Vom Netzwerk:
verlieren werde. Wenn ich Natalia Petrowna das nächste Mal sehe …«
    »Ich weiß nicht, ob es eine Heilung gibt«, sagte Speranza und griff nach dem Umschlag mit Koka-Pulver in ihrem Mieder. Denn sie dürstete nach Vergessen und nach schneller Linderung des Schmerzes in ihrem Herzen.
     
    Nach einem Tag und einer Nacht in ihrer Nähe widmete er sich ihr immer mehr. Er hatte so lange keine Frau mehr gesehen. Er wagte es nicht, mit dem Jungen in die Stadt zu gehen; wenn man ihn erwischte, würde er gehenkt werden, und er vermochte sich nicht so leicht unsichtbar zu machen wie der Bursche.
    Einmal hatte Teddy Scott nachts angedeutet, wie er ihm Erleichterung verschaffen könnte. Aber Scott hatte für derartige Spiele noch nie etwas übriggehabt, und Teddy hatte den Vorfall nie wieder erwähnt. Jetzt war Speranza zu ihnen gekommen, und Scott brauchte nicht mehr immerzu an die Wolfsfrau
mit dem flammendroten Haar zu denken. Speranza war keine atemberaubende Schönheit wie Natalia, aber Scott ahnte, dass sie zu tiefer, echter Liebe fähig war. Obwohl sie vor ihm geflohen war, liebte sie den Grafen noch immer; und sie liebte Johnny mehr, so vermutete er, als die meisten leiblichen Mütter ihr eigen Fleisch und Blut. Sie wollte sich augenblicklich auf die Suche nach ihm machen. Aber erst musste Teddy ins Lakota-Dorf hinunter und auskundschaften, ob jemand den Lagerplatz der Shungmanitu kannte. Und sie konnten nicht während des Vollmonds reisen. Manchmal, auch wenn der Mond nicht ganz voll war, spürte er das Tier in sich, das nach Blut lechzte.
    Sie waren alle drei besessen. Teddy war von dem Gedanken besessen, sich zu rächen: für seinen Vater, für die Chinesin, für Zeke, selbst für seine Mutter, die in den Wald gegangen war, um zu sterben. Scott war von der Russin besessen und von der Angst, sie könnte ihn über die Klippe in den Abgrund stoßen. Deshalb half er Teddy bei seinem Rachefeldzug, deshalb tötete er Werwölfe, würde er vielleicht auch den Werwolf töten, der ein Teil seiner selbst war.
    Speranza wünschte sich verzweifelt, das Kind zu finden; vielleicht würde das ihre Gewissensqualen lindern. Obwohl sie Scott nicht verriet, warum sie Dr. Swanson besucht hatte, war der Grund nicht schwer zu erraten. Sie hatte ebenfalls einen Teil ihrer selbst getötet, vermutete Scott. Sie waren sich auf seltsame Weise ähnlich, diese ausländische Gouvernante und er, der einfache Soldat aus Missouri.
    Er versuchte nie, sie zu berühren; aber nachts, wenn er im Halbschlaf lag, beruhigte ihn ihr gleichmäßiger Atem.
    Eine Morgens eröffnete er ihr: »Ich schätze, Teddy kommt bald aus dem Indianerdorf zurück.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich habe wahrscheinlich bereits tierische Instinkte«, sagte er. Sein Geruchssinn wurde immer schärfer.

    »Sollen wir Ausschau nach ihm halten?«, fragte Speranza.
    Sie traten aus der Höhe - er hätte gerne ihre Hand gehalten, wagte es aber nicht -, und Scott führte sie bergab bis zu einem Felssims über dem Tal. Er hielt kurz an, um ein Kaninchen fürs Mittagessen aus einer Falle zu holen, widerstand aber dem Impuls, es augenblicklich roh hinunterzuschlingen. Sie suchten die Gegend ab. Dann sah Scott etwas ganz und gar Unerwartetes im Tal - einen Wagentreck, der sich um einen Hügel schlängelte - Pferde, Mulis, Karren, Soldaten dazu. Sie schoben sich gemächlich vorwärts, als würden sie alle paar Minuten Rast machen, um die Landschaft zu genießen, wie eine Karawane aus Tausendundeiner Nacht.
    Einen kurzen Moment lang fürchtete er, man hätte ihn entdeckt. Aber nein, das da hatte nichts mit ihm zu tun. Das mussten Fremde sein, irgendwelche Würdenträger.
    Der ganze Konvoi hielt an. Winzige Gestalten sprangen aus dem letzten Wagen. Sie bauten ihre Ausrüstung auf. Künstler, vielleicht sogar Fotografen, dachte er. Zeitungsleute, Touristen, Oststaatler.
    »Wer ist das?«, fragte Speranza. »Ich hätte nicht gedacht, dass es noch Leute gibt, die im Planwagen reisen.«
    »Ich habe keine Ahnung«, gestand Scott. »Aber ich schätze, es muss jemand verdammt Wichtiges sein.«
     
    Teddy versteckte sich hinter den Büschen und wartete, bis sie vorübergezogen waren. Sein Pferd weidete an einem Fluss. Neugierig beobachtete er die Karawane.
    Er hatte keine Ahnung, wer das war, aber sie hatten Soldaten dabei, und er wollte kein Risiko eingehen, deshalb blieb er in seinem Versteck. Warum fuhren sie nicht weiter? Es waren sehr viele. Es mussten hundert, vielleicht zweihundert

Weitere Kostenlose Bücher