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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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wie ein Mensch.«

    Er versuchte, sie hinauszuschicken, aber sie küsste ihn auf die Stirn, die Wangen, die Lider, schließlich auf den Mund, weil sie den Fäulnisgeruch liebte, der ihm entströmte. Sie kauerte sich über ihn, kratzte über seinen Brustkorb, leckte seine Wunden. Das Blut war warm, kitzelte. Sie sprang ihn an, presste ihn nieder, biss ihn spielerisch, schnüffelte an den scharf riechenden Falten seiner Unterwäsche. »Ich liebe dich so, wie du früher immer geliebt werden wolltest«, sagte sie leise, und in ihrer Stimme schwang silberner Tod, »ich liebe dich so, wie dich kein Menschenweib lieben kann … sieh, sieh, ich schmecke dein Geschlecht, ich lecke den Eiter von deinem aufgerissenen Fleisch … ich kratze dich mit meinen Klauen, ich presse deine Nase in meine Fotze … du kannst dieser Liebe, meiner Liebe nicht entfliehen …«
    Der Graf wandte sein Gesicht ab. Aber sie wusste, dass sich im Geist dieses aristokratischen Ästheten ein anderer Geist verbarg, dunkler, tierischer, und dass die Vernunft endlich doch dem Instinkt weichen würde.

8
    Die Black Hills
    Ein Tag vor Vollmond
     
    Dämmerung. Seit vielen Tagen war er in der Wildnis. Er hatte die ganze Zeit über nicht gegessen; hin und wieder, wenn er Durst hatte, kniete er nieder und leckte Wasser aus einem Bach. Er hatte vergessen, wohin er ging. Aber die Luft war dünner hier, und er wusste, dass er bald den Gipfel der Welt erreichen würde. Graue Kuppen stiegen über dem Kieferndach auf. Die Sonne schien herab; manchmal brannte der Wind wie der Atem aus dem Eisenroß der Weißen; manchmal war er kalt.
    Der Wind wehte ununterbrochen, aber der Wolfsjunge, der
nichts als einen Lendenschurz trug, genoss seine Schärfe. Ich bin Teil des Windes, dachte er, ich entspringe Baum und Fels.
    Er lief bergauf. Seine Füße waren die Schwingen des Adlers. Über einem fernen Gipfel toste ein graudunkler Sturm; er konnte den Donner kaum hören. Er lief bergauf. Und in seinem Geist, in dem Wald, den er sich selbst geschaffen hatte, lief er auch. In der Außenwelt erklomm er steile Felsen über einem Fluss, der tief ins Land der Menschen hinabstürzte und dabei ähnlich klang wie das Lachen der Männer und das Wehklagen der Frauen über den Sieg und den Tod ihrer Verwandten. In der Innenwelt war der Fluss träge und roch nach Blut. Aber er wusste, dass er die Quelle finden musste. Die Quelle beider Flüsse. Denn beide Flüsse entsprangen dem Großen Geheimnis.
    Die Quelle des Flusses draußen würde er auf dem Dach der Welt finden, dort wo sich zum Wohlgefallen des Großen Mysteriums die Rauchschwaden unzähliger zeremonieller Pfeifen mischten. Die Quelle des Flusses drinnen lag im Dunkeln, sie musste er fürchten. Doch er musste seine Furcht besiegen. Die anderen suchten im Wald Zuflucht, waren allein mit ihrer Angst; sie würden sich nie vereinen, solange sie sich fürchteten.
    Ich bin gekommen, erklärte der Wolfsjunge den anderen. Ihr braucht keine Angst mehr zu haben. Nicht einmal du, dunkler Wolf, den ich besiegt habe. Selbst du bist Teil meiner Seele; wir sind alle Spiegelbilder im Wasser.
    Der Wolfsjunge wanderte, suchte den Traum. Er wusste, dass sie alle miteinander träumen mussten, bevor er ins Dorf zurückkehren konnte. Sie mussten alle denselben Traum träumen. Selbst der Dunkle würde ihn träumen müssen. Und selbst der Dunkle, dessen Angst, obwohl er sie nie zeigte, viel größer war als die der anderen, würde in den Kreis des Lichtes treten müssen.

    Und auch der alte Ishnazuyai hatte einen Traum, in dem er Wakantanka gegenübertrat und der ihm sagte, dass es Zeit war, ins Land der vielen Tipis zu gehen …
     
    Claggart war dem verrückten Indianer seit zwei Tagen auf den Fersen. Er war aus der Richtung gekommen, in der Winter Eyes lag, als er ihn entdeckt hatte. Dann war Claggart zu seinem Missfallen geradewegs in die Reisegesellschaft des Präsidenten gelaufen, mit ihren Dutzenden von Packmulis, den unzähligen Kavalleristen, den Fotografen und Journalisten. Aber er war trotzdem geblieben, wenigstens lange genug, um respektabel zu erscheinen; er hatte die Gelegenheit genutzt, ein paar alte Tricks auszugraben, die er seit seiner Zeit bei der Eisenbahn nicht mehr geübt hatte; und er hatte sich unzählige gute Ratschläge von Cody eingehandelt, wie ein Reisezirkus geführt werden musste, während er sich dessen schwer verdiente Dollars in die Taschen schob. Mein Gott, dachte er, wenn ich den berühmtesten Scharlatan der Welt über

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