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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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Werwölfe nichts damit zu tun hatten.
    »Sie erledigen, was schon seit Jahren fällig ist - sie massakrieren die Heiden, die unsere Stadt übernehmen wollten.«
    Schreie draußen. Castellanos stand auf, lehnte sich an die Saloontür. Getrampel auf der Veranda. Männer, Frauen, mit angespannten, hassverzerrten Gesichtern. Mitten auf der Straße kauerten Chinesen, mehr als zehn - ein Mann hielt ein Baby unter jedem Arm - eine Frau in zerfetztem Kleid wehrte mit einem Jade-Götzenbild zwei Männer ab, schrie - Schüsse - Castellanos sah, wie die Menge auf den Saloon zu drängte, wie ein Mann niedergetrampelt wurde, seine Eingeweide sich in den Sporen der Männer verfingen - und Herbstlaub vom wolkenverhangenen Himmel fiel.
    »Los, den knüpfen wir gleich hier auf.« Fünf junge Männer - allesamt so alt, dass sie kaum ihre Schuhe binden konnten
- trieben einen alten Mann mit Fußtritten über den Gehsteig. Blut quoll aus seiner Nase, seinem Mund. Sein Anzug war blut- und schlammverklebt.
    »Am besten direkt über der Saloontür«, schlug einer vor.
    »Gute Idee.« Ein zweiter knüpfte bereits die Schlinge.
    Sie zerrten den Chinesen hoch, legten ihm die Schlinge um den Hals und warfen das Seilende über einen Querbalken. Einer nach dem anderen spuckten sie dem Chinesen ins Gesicht. Er schien sich in sein Schicksal zu fügen.
    »Wir jagen diese verfluchten Heiden aus der Stadt. Kulischweine! Götzendiener!«
    »Bringt sie um. Verflucht, bringt sie um. Gottverdammt, killt diese Hurensöhne!«
    »Nicht so derb, Jungs!« Die Geigerin hatte einen Stuhl in die Tür geklemmt, damit sie offenblieb. »Es ist eine Sache, die Erde von Ungeziefer zu befreien, und etwas anderes, den Namen des Herrn zu missbrauchen.« Sie sah ihnen zu, wie sie das Seil befestigten, kaute einen Priem dabei. Dann schlenderte sie hinaus und half mit, das Seil festzuknoten. »Will euch mal unter die Arme greifen.«
    Mit feistem Grinsen erwiderte ein Junge: »Ich hab gehört, du greifst auch ganz woanders hin, Jenny Lee.«
    »Könnt ihr denn immer bloß an Weiber denken? Wir haben Wichtigeres zu tun. Wir lösen hier eine nationale Krise, die Chinesenfrage, und zwar in Windeseile.«
    Jenny Lee lachte und zog an, wandte sich an Victor. »He, helfen Sie uns mal, Kumpel.« Der Chinese sah sein Ende nahen und unternahm einen letzten verzweifelten Fluchtversuch. Der grinsende Junge verpasste ihm einen Schlag auf den Mund. Ein Zahn schlitterte über die schmutzigen Bohlen.
    Victor wusste nicht, was er tun sollte. Diese Leute machten ihn krank, aber er wusste, dass er nichts unternehmen konnte. Am Ende hätten sie sich ihn selbst vorgeknöpft oder einen der schwarzen Kuhhirten.

    Dann dachte er: Ich bin nicht einmal ein Mensch, es macht ohnehin keinen Unterschied. Und er legte eine Hand an das Seil.
    Im gleichen Augenblick hörte er eine Kugel sirren. Der grinsende Bursche brach zusammen. In seiner Stirn war ein Loch von der Größe eines Fünf-Cent-Stücks.
    »Ja verdammt …« Sein Freund, anscheinend der Rädelsführer, schüttelte den Kopf. Er rief der Menge zu: »He, Vorsicht beim Schießen! Ihr trefft sonst weiße …«
    Er ließ seinen Satz unvollendet. Ein zweiter Schuss. Castellanos sah den Magen des Kerls aufplatzen, den Burschen eine überraschte und schmerzverzerrte Grimasse ziehen und dann - langsam - über seinen toten Freund kippen.
    Zehn Meter entfernt steckte ein Mann auf dem Gehsteig eine doppelläufige Merwin and Hulbert zurück in den Halfter.
    »Lasst ihn«, sagte er. Es war nur ein Flüstern, aber es war laut genug. Ein Blättersturm: Laub türmte sich an den Eckpfeilern auf, Modergeruch drang in Victors Nase. Obwohl der Mann bleich war, hatte sein Gesicht indianische Züge; er trug sein langes Haar unter einem verbeulten alten Schlapphut, von dem eine einzelne Feder herabhing, eingekerbt, wie es bei den Sioux Sitte war, wenn sie zeigen wollten, dass der Träger ein erfolgreicher Krieger war. Er war jung; obwohl sein Gesicht wettergegerbt war und seine Augen von Fältchen umgeben waren, war er schlank, nicht wie ein Erwachsener; wahrscheinlich war er höchstens achtzehn oder neunzehn Jahre alt, so alt wie Castellanos, als er mit den Comancheros zu reiten begonnen hatte - lange bevor er der Baronin von Dittersdorf begegnet war.
    Castellanos konnte sich nicht beherrschen; er sagte: »Vielen Dank, dass Sie sie aufgehalten haben.«
    Der Mann trat auf sie zu. Die übrigen Burschen tauchten im Gewühl unter; nur Castellanos, Jenny Lee und die zwei

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