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Wolfsruf

Titel: Wolfsruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S.P. Somtow
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nicht wahr? Bitte verzeihen Sie mir.« Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. »Sie müssen mir sagen Ihren Namen.«
    »Lieutenant Scott Harper, Elfte Kavallerie, Madam«, stellte er sich vor. Er nahm ihre Hand und, da sie das zu erwarten schien, küsste sie. Sie trug keine Handschuhe, trotz der Kälte. Aber ihre Hand war heiß, als er sie berührte, und seine Lippen kribbelten auf der Wärme. Es war, als würde sie innerlich brennen. Er fragte sich, ob sie krank war.
    »Sie müssen wieder aufsetzen Ihren Hut, Lieutenant«, sagte sie. »Es ist kalt, und Sie sind zu höflich.« Sie machte eine Pause und fügte hinzu: »Und Sie starren immer noch. Aber es macht nichts aus.«
    »Madam …« Er senkte die Augen, wurde plötzlich verlegen. »Ich dachte … Sie erinnern mich an …«
    »Viele in meiner Familie vergleichen mich mit wildes Tier.« Konnte sie Gedanken lesen? Sie fuhr fort: »Sie gefallen mir, Lieutenant Harper.«
    Geschmeichelt fragte Scott: »Wie darf ich Sie ansprechen, Madam?« Er wollte gerne herausfinden, ob sie verheiratet war. »Ich schätze, ich sollte Sie Miss Stravinskaya nennen, aber … nun, Sie sehen so aus … ich könnte mir vorstellen, dass Sie eine von diesen Aristokratinnen sind, eine Gräfin oder so.«
    »Sagen Sie einfach Natalia Petrowna«, bot sie ihm an. »Das ist in meinem Land die höflichste Anrede. Oh, es ist mir sehr angenehm, dass Sie mich halten für eine Gräfin. Das bin ich leider nicht, und ich werde es auch nie sein … obwohl es fehlt so wenig!«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich bin sehr intim verbunden mit einem Grafen. Ich bin seine Geliebte, um zu sagen die Wahrheit.« Als sie Scotts Reaktion bemerkte, fuhr sie fort: »Aber Sie sind schockiert? Sie halten mich für eine Hure vielleicht? Das ist das richtige Wort,
nicht wahr? Aber es ist nicht dasselbe.« Und sie begann zu weinen.
    »Natalia Petrowna …« Scott wusste nicht, was er sagen sollte. Sie gehörte in eine ganz andere Welt - eine strahlende, glamouröse Welt voller Grafen und Kurtisanen und sagenhaftem Wohlstand. Er fühlte sich fehl am Platz. »Weinen Sie nicht, Madam«, bat er leise. »Ich kann Sie nicht weinen sehen. Sie sind so schön und alles. Und … ach Mist, ich benehme mich wie ein kleiner Schulbub und …« Weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte, löste er sein gelbes Seidenhalstuch und reichte es ihr. Sie nahm es und betupfte damit ihre seltsamen, bernsteinfarbenen Augen.
    In diesem Augenblick näherte sich ihnen Zeke Sullivan, der die Witwe Bryant an seinem Arm führte. Natalia Petrowna trocknete ihre Tränen.
    Scott stellte alle einander vor. Zeke sagte: »Préférez-vous que nous parlons en français, Natalia Petrowna?«
    »Wusste gar nicht, dass du Französisch sprichst«, sagte Scott, ein bisschen neidisch, weil Natalia Petrowna vor Freude strahlte. »Und sag nicht, das hast du von den Indianern gelernt.«
    »Um die Wahrheit zu sagen, genauso war’s«, antwortete Zeke. »Im Norden gibt es Stämme, die tun seit zweihundert Jahren mit den Franzosen Handel treiben.«
    »Aber Sie wissen, dass wir sprechen Französisch in Russland«, wandte Natalia Petrowna ein. »Das ist außerordentlich.«
    »Eigentlich nicht, Madam. Sehen Sie, da war dieser russische Knabe … der Großfürst Alexis. Vor ein paar Jahren ist er mit Buffalo Bill zum Jagen ins Territorium gekommen. Damals war ich noch Scout für General Custer. Na, jedenfalls musste ich einmal für diesen Fürsten, oder was er auch war, übersetzen, und wir sind hervorragend miteinander ausgekommen. Unsere Smith and Wesson.44 haben ihm so gut gefallen,
dass er gleich ein paar Tausend davon für die russische Armee bestellt hat.«
    »Wie erstaunlich!«, bemerkte Natalia. »Mir wurde nie gewährt eine Audienz beim Großfürsten. Aber ich glaube, mein Cousin hat so einen Revolver.«
    Das Gespräch verstummte, weil jetzt die Trauergäste vorbeidefilierten und der Witwe Bryant kondolierten. Irgendwann schlug Zeke vor: »Wir sollten jetzt gehen.« Sie wurden erst am übernächsten Tag im Fort zurückerwartet, und sie hatten sich im Saloon unten an der Straße eingemietet. Einer von Zekes vielen Freunden, ein Eisenbahner, wollte sie dort bei Sonnenuntergang treffen. Die Witwe würde bei der Familie eines Freundes ihres verstorbenen Gatten bleiben. Zeke fragte sie: »Möchten Sie, dass wir Sie jetzt zu den O’Gradys begleiten?«
    Sie antwortete: »Ich fühle mich ganz und gar leer. Ich wünschte, ich wäre ein Mann und könnte einfach in einen Saloon

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