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Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten

Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten

Titel: Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lori Handeland
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schaute ihn wie einen lange verloren geglaubten Enkel an. „Ich würde mich mit Ihnen sehr gern ausführlicher über die alten Bräuche unterhalten.“
    Er gab ihr mit seiner freien Hand einen sanften Klaps auf die Schulter. „Es wäre mir ein Vergnügen.“
    „Jetzt?“, entfuhr es mir.
    Ians Blick glitt zu mir.
    „Ich … äh … “ Ich musste zur Arbeit, gleichzeitig wollte ich Quatie nicht seiner Gesellschaft berauben, wo sie sie doch so offenkundig genoss.
    „Ich fürchte, ich habe heute ein paar Termine.“ Ian versuchte, ihr seine Hand zu entziehen, doch Quatie hielt sie fest. „Mit Lieferanten. Dem Maler. Aber ich verspreche, an einem anderen Tag wiederzukommen.“
    Quatie nickte und gab sie frei.
    Wir ließen sie auf der sonnigen Veranda zurück und machten uns auf den Rückweg nach Lake Bluff.
    „Es tut mir leid“, begann ich.
    „Was denn?“
    „Das Kreuzverhör. Sie war die beste Freundin meiner Urgroßmutter und … “ Ich brach ab.
    „Sie wollte sichergehen, dass meine Absichten ehrbar sind. Das verstehe ich.“
    Da ich ihn nicht ansehen konnte, konzentrierte ich mich auf die Straße.
    „Sie möchte nicht, dass du verletzt wirst“, fuhr er sanft fort. „Genauso wenig wie ich.“
    Jetzt schaute ich ihn doch an. Da war etwas in seiner Stimme, das ich nicht deuten konnte, aber seine Miene war offen und ehrlich. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, darum sagte ich nichts.
    Eine kurze Weile später hielt ich vor der Praxis. „Wir sehen uns heute Abend.“ Er beugte sich zu mir und küsste mich. Noch ehe ich reagieren konnte, war er schon aus dem Wagen gesprungen.
    Ich ließ die Geschehnisse der vergangenen Stunden Revue passieren. Seit fast einem Jahr hatte ich Quatie nicht mehr gesehen – mein eigenes Versäumnis – , aber ungeachtet dessen, wie sehr ich sie vernachlässigt hatte, hatte sie spontan die Rolle meiner Urgroßmutter übernommen. Dass sie das getan hatte, rührte mich.
    Obwohl ich niemanden brauchte, der mich beschützte, war es schön, wenn jemand es versuchte.

14
    Mit dem Vorsatz, kurz nach dem Rechten zu sehen und mich anschließend wie geplant zum Bestattungsinstitut aufzumachen, fuhr ich aufs Revier, doch wieder einmal zerrann mir die Zeit vor lauter Problemen – intensive Aufräumarbeiten nach dem Sturm, vielerorts weiterhin kein Strom, Hunde, die vermisst wurden, dazu vereinzelte Plünderungen – zwischen den Fingern.
    Und der Chuck-Norris-Witzbold hatte wieder zugeschlagen.
    Der Schenkelklopfer des heutigen Tages lautete: MacGyver kann ein Flugzeug aus Gummi, Papier und Bindfaden bauen, aber Chuck Norris kann ihn töten und es sich nehmen .
    „Ich habe MacGyver nie gemocht“, kommentierte Cal. „Die Serie war nicht realistisch.“
    „Aber Walker, Texas Ranger schon?“, frotzelte Jordan.
    Cal schaute sie an, als ob sie den Verstand verloren hätte. „Selbstverständlich!“
    Der Mann ließ einfach nicht mit sich reden.
    Ich reichte den Witz an Jordan weiter. Sie hatte eine Akte angelegt, allerdings weniger aus ermittlungstechnischen Gründen als zur Belustigung der Kollegen. Wann immer jemand einen Gemütsaufheller brauchte, schnappte er sich den Chuck-Norris-Ordner. Cal wusste nichts davon. Er würde ausrasten.
    Jordan setzte sich wieder an die Schalttafel. Mit ihrer zierlichen Figur – die im krassen Widerspruch zu der Masse ihres Vaters stand – erinnerte sie mich an eine freche Elfe. Vielleicht lag es an ihrem raspelkurz geschnittenen Haar, vielleicht auch an ihrer scharf konturierten Kinnpartie oder dem Funkeln ihrer blauen Augen. Oder könnte es ihre Kollektion mörderisch hoher Stöckelschuhe sein? Jedenfalls mochte ich sie, und obwohl sie der beste Dispatcher war, den ich je hatte, hoffte ich, dass sie das Geld fürs College bald zusammengespart haben würde, um ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen.
    Ich sah auf die Uhr. Nur noch eine Stunde bis zum Schichtwechsel. Zeit, zum Beerdigungsinstitut zu spazieren, das auf der gegenüberliegenden Seite des Parkplatzes lag.
    „Cal, könntest du hier übernehmen?“
    Er nickte, dabei starrte er griesgrämig auf seinen Schreibtisch. Bekümmerten ihn die Witze so sehr, oder machte es ihn verrückt, den Übeltäter nicht zu fassen zu bekommen? Vermutlich ein bisschen von beidem.
    Fünf Minuten später betrat ich das Bestattungsinstitut Farrel & Söhne. Seltsamerweise war keiner der Schauräume geöffnet. In Anbetracht der vielen Todesfälle hätten sich die Särge eigentlich bis unter die Decke türmen

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