Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten
Süden, besonders zu dieser Jahreszeit.“
„Das Ganze gefällt mir nicht. Ich werde ein paar Nachforschungen über Adler-Wandler anstellen.“
Ich öffnete den Mund und klappte ihn wieder zu. Was konnte es schon schaden?
„Wenn Sie das nächste Mal feststellen, dass Tiere sich ungewöhnlich verhalten, verständigen Sie zuerst mich“, befahl sie. „Überlassen Sie es nicht der Flüsterpropaganda. Das verdirbt mir die Laune.“
„Dabei lebe ich doch nur dafür, Ihnen zu Gefallen zu sein“, spottete ich, aber sie hatte schon aufgelegt.
Ich war jetzt hellwach. Keine Chance, dass ich wieder einschlafen würde. Gewöhnlich schlug ich dreimal auf die Schlummertaste, bevor ich mich aus dem Bett wälzte, aber heute war ich meinem Zeitplan so weit voraus, dass ich mir nicht nur Kaffee und Toast gönnte, sondern sogar die Zeitung las, während ich frühstückte.
Da unser letzter Chefredakteur offiziell weiterhin als vermisst galt – nur Claire und ich wussten es besser – , hatten wir einen neuen, der einen ziemlich guten Job machte. Balthazar Monihan hatte die Gazette wie ein Klatschblatt geleitet und nicht nur jeden Tratsch, sondern auch peinliche Fotos der Bürger veröffentlicht, was vermutlich erklärte, warum nicht viel unternommen wurde, um ihn zu finden. Nicht, dass das möglich gewesen wäre.
Ich blätterte eine Seite weiter, um die wenigen, wöchentlich erscheinenden Todesanzeigen zu überfliegen, und hielt verdutzt inne.
Eine ganze Spalte war Namen, Daten und Hinterbliebenen gewidmet. Die meisten der Verstorbenen waren alt gewesen, einige unheilbar krank, nichts davon ungewöhnlich – bis auf die Vielzahl.
Ich wusste, dass während eines Unwetters die Entbindungsstationen aus allen Nähten platzten, dass Babys im Gang, im Aufzug, in der Lobby geboren wurden. Ich schob es auf das Barometer.
Wenn es während eines Gewittersturms also mehr Geburten gab als sonst, vielleicht gab es auch mehr Todesfälle? Nur war mir das nie zuvor aufgefallen. All diese Menschen waren unter natürlichen Umständen gestorben. Hätte es irgendwo einen Hinweis auf Fremdeinwirkung gegeben, wäre ich alarmiert worden. Trotzdem nahm ich mir vor, mit dem Bestattungsunternehmer zu sprechen.
Da ich heute früh dran war, legte ich einen Zwischenstopp bei der Praxis ein. Der Doktor war schon dort. Wo hätte er auch sonst sein sollen?
„Grace.“ Ians Lächeln war voll der Erinnerungen an unsere letzte Begegnung. Obwohl ich nichts lieber getan hätte, als einzutreten und das Ganze zu wiederholen, durfte ich mich nicht ablenken lassen. Ich hatte zu viel zu tun.
Besonders, wenn ich bis zu unserem Date heute Abend alles erledigt haben wollte – vorausgesetzt, er hatte es ernst gemeint. Dem Ausdruck in seinen Augen nach hatte er das. Sehr sogar.
„Würdest du einen Hausbesuch machen?“
Sein Lächeln wurde breiter, als er mir die Arme entgegenstreckte. „Jederzeit.“
Ich trat lachend zurück. „Nicht diese Art Hausbesuch. Ich meine einen echten – bei einer Freundin meiner Urgroßmutter.“
„Oh.“ Er hob die Hand, mit der er nach meiner Taille hatte fassen wollen, und strich sich das Haar aus dem Gesicht. „Sicher. Ich dachte nur … “ Er brach ab. „Nun ja, du weißt schon, was ich dachte.“
„Ja.“ Ich könnte nicht behaupten, dass ich nicht in Versuchung gewesen wäre, aber wenn ich Ian zu Quatie bringen und trotzdem rechtzeitig zur Arbeit erscheinen wollte, durfte ich ihr nicht nachgeben.
„Ich bin gleich wieder da.“
Er verschwand im Behandlungszimmer, bevor er eine Minute später mit einer Arzttasche zurückkam, die einer 70er-Jahre- Fernsehserie – Marcus Welby, M.D. oder vielleicht Medical Center – entsprungen zu sein schien. Mein Bruder Gene hatte ständig die Wiederholungen geguckt. Er hatte Medizin studieren wollen, nur hatte er weder die entsprechenden Noten noch die finanziellen Mittel gehabt. Meinen letzten Informationen nach arbeitete er als Sanitäter in Cleveland.
Ian und ich quetschten uns in meinen Pick-up – falls ich die Zeit fand, würde ich später nach meinem neuen Streifenwagen sehen. Ich wendete den Wagen, und wir machten uns auf den Weg zu Quatie.
„Möchtest du mir etwas über diese Freundin deiner Urgroßmutter erzählen?“, fragte er.
Ich nannte ihm die spärlichen mir bekannten Fakten – eine vage Altersangabe, so gut wie nichts über ihre medizinische Vorgeschichte, meine Laiendiagnose ihre Arthritis betreffend.
„Ich habe mehr von der Salbe in meiner
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